Evangelischer Kirchentag in Berlin: „Alle müssen gleich behandelt werden“

Christen machen die Unterscheidung in bleibeberechtigte und nicht-berechtigte Flüchtlinge nicht mit, sagt Pfarrer Bernhard Fricke aus Potsdam.

Vorbereitungen für den evangelischen Kirchentag an der Straße des 17. Juni Foto: dpa

taz: Herr Fricke, Sie moderieren auf dem Kirchentag eine Veranstaltung zu Kirchenasyl. Welche Rolle spielt das Thema Flüchtlinge beim Kirchentag?

Bernhard Fricke: Eine sehr wichtige, denke ich. Es gibt ja nicht nur eine Podienreihe dazu, es wurde auch der „Begegnungsort Willkommenskultur“ ins Programm genommen.

Was passiert da?

Es gibt Stände von Initiativen, die alle im Bereich Willkommenskultur unterwegs sind und ihre Projekte vorstellen. Manche Gruppen bringen auch Geflüchtete mit. Dann wird es ein Café geben, wo Begegnungen möglich sind, auch mit Geflüchteten. Es werden Syrer da sein, Iraner, die Auskunft geben werden über ihre Lebenswirklichkeit, vielleicht auch über ihre Fluchtgeschichte. Dann gibt es einen Parcour, auf dem das Ankommen in Deutschland erlebbar gemacht wird. Das ist ein Experiment, wir wissen nicht, wie das klappen wird. In der Mitte des Parcours wird es eine Oase geben mit einem Brunnen. Der Kirchentag hat ja das Motto „Du siehst mich“, das kommt von der biblischen Person Hagar – und deshalb heißt dieser Brunnen „Hagars Brunnen“.

Wer war Hagar?

Sie war die zweite Frau von Abraham, musste für Sarah das Kind gebären. Hagar trifft am Brunnen einen Engel, und der sagt ihr zum einen was ganz blödes: „Geh zurück in die Demütigung“. Er sagt aber auch: „Dein Kind wird eine große Nachkommenschaft haben.“ Und dieses Kind, Ismael, ist ja der Stammvater der Muslime. Der Brunnen in der Oase soll also auch ein Ort für den interreligiösen Dialog sein.

Seit dem „Sommer der Willkommenskultur“ 2015 engagieren sich tausende Menschen in Deutschland für Flüchtlinge. Finden Sie, dass sich Christen dabei besonders hervortun?

Ich kann das nicht bestätigen, kann aber auch nur aus der Potsdamer Perspektive sprechen. Bei uns gibt zwar viele Christen, die mitmachen – aber auch sehr viele nicht-religiöse Menschen.

59, ist seit 2015 Flüchtlingsseelsorger in Potsdam. Vorher war er neun Jahre lang evangelischer Seelsorger in der Abschiebehaft Köpenickt, die inzwischen geschlossen ist. Seit 2012 ist er auch mit der Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt betraut.

Manche sagen ja, als Christ müsste man für offene Grenzen für alle sein. Das sehen aber viele anders, vorneweg die christliche Partei Bayerns, die eine Obergrenze fordert. Was sagen Sie: Wie muss man als Christ zu dieser Frage stehen?

Wenn man einen fundamentalistischen christlichen Ansatz hätte, müsste man in der Tat sagen: „Grenzen auf, alle Menschen sind gleich und können sich überall niederlassen. Menschenrechte gelten universell!“ Das ist auch meine Herzenshaltung. Gleichzeitig muss man, wenn man politisch aktiv sein und konkrete Veränderungen erzielen will, ein Stück realistisch sein. Da gibt es gesellschaftliche Rahmenbedingungen, und die sehen im Moment anders aus. Das bedeutet, wir können im Moment in der Willkommenskultur nur dies tun: den Flüchtlingsschutz Ernst nehmen.

Das heißt?

Im Moment reden ja viele Leute über Integration, vor allem in den Arbeitsmarkt. Aber darüber, sagen wir als Christen, darf der Schutz der Flüchtlinge nicht verloren gehen. Das ist auch die Brücke zum Kirchenasyl. Wir machen diese Unterscheidung in bleibeberechtigte Flüchtlinge und nicht-bleibeberechtigte nicht mit!

Sie meinen die Tatsache, dass Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive mehr Rechte haben?

Genau. Wir sagen, alle müssen gleich behandelt werden, gleiche Möglichkeiten haben von Anfang an, etwa bei Sprachkursen, Wohnungsanmietung, Arbeit. Und wenn es im Härte- und Einzelfall ersichtlich ist, dass den Menschen eine Gefahr droht, wenn sie abgeschoben werden, müssen wir sie schützen.

Damit sind wir beim Kirchenasyl.

Ja. Vorher aber nochmal ganz grundsätzlich: Willkommenskultur ist was sehr schönes. Aber sie muss zwei Dinge berücksichtigen: Dass sie nun langsam zur Integrationskultur werden muss – und die betrifft nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die deutsche Gesellschaft. Der andere Aspekt: Willkommenskultur darf nicht den Flüchtlingsschutz vergessen, auch nicht von Menschen aus Afghanistan oder Tschetschenien, die nach Polen zurückgeschoben werden.

Neben dem „Begegnungsort Willkommenskultur“ gibt es mehrere Podien zum Thema Flüchtlinge, u.a.: „Kirchenasyl – Erfolgsmodell in der Verwaltungsschleife“ (Do 13:30, Halle 7.2a, Messe Berlin), mit einem Betroffenen und einem Verwaltungsrichter a.D. „Verantwortung vor Ort – Geflüchtete, Ehrenamt und Verwaltung“ (Fr 13:30, Halle 7.2a), mit einer sächsischen Ordnungsamtsleiterin. „Visionen für eine Kirche mit Geflüchteten“ (Sa, 13:30, Halle 7.2a). Alle drei Veranstaltungen moderiert Pfarrer Bernhard Fricke.

Das ganze Programm: www.kirchentag.de

Das sieht die Politik oft anders. In Bayern geht die Justiz immer wieder gegen Geistliche vor, die Kirchenaysl gewähren, in Rheinland-Pfalz wurde vor wenigen Tagen ein Asyl polizeilich geräumt. Kennen Sie solche Probleme aus der Region Berlin-Brandenburg?

Zum Glück nicht. Wir haben den Eindruck, dass die Ausländerbehörden das Kirchenasyl respektieren. Dabei hilft aber auch, dass wir immer wieder mit den Zuständigen im Gespräch sind, sowohl in Berlin mit dem Senat, als auch in Brandenburg mit der Innenbehörde.

Sie erklären denen, was das für Fälle im Einzelnen sind?

Genau, wir müssen im Einzelfall gut begründen, warum hier die Kirchengemeinde einen Schutz ausspricht. Letztlich machen wir ja nichts anderes als die Behörden darum zu bitten, den Fall wie wir als Härtefall zu sehen und die Verantwortung zu übernehmen.

Wie oft klappt das?

Es klappt, aber statistisch kann ich dazu nichts sagen.

Wie hat sich das Kirchenasyl hier in der Region entwickelt, was für Fälle sind es heute?

Die meisten sind heute Dublin-III-Fälle, also Geflüchtete, die in ein anderes EU-Land zurückgeschoben werden sollen, weil dies formal für sie zuständig ist. Die Hauptherkunftsländer sind weiterhin Syrien, Afghanistan, Eritrea und sie sollen etwa nach Kroatien, Ungarn oder Italien abgeschoben werden. Man muss dann genau gucken, was die Leute dort erlebt haben, in welchem gesundheitlichen Zustand, physisch und psychisch, sie sind, ob sie vor Ort behandelt werden können. Das sind immer Abwägungen im Einzelfall.

Es gibt also Fälle, wo jemand Kirchenasyl erbittet und Sie nein sagen?

Das müssen wir leider zum Teil machen, weil gar wir nicht so viele Gemeinden haben wie Menschen, die um Kirchenasyl bitten. Das ist sehr schwer, aber wir müssen manchmal Menschen sagen, dass wir bei ihnen keinen Härtefall sehen und es vielleicht andere Möglichkeiten für sie gibt.

In Berlin gibt es zur Zeit 23 Kirchenasyle, in Brandenburg 38. Wie oft pro Jahr kommt es vor, dass sie jemanden ablehnen?

So etwa jeder dritte Fall. Aber wir sagen nicht nur „nein“, wir suchen dann nach Alternativen, gucken, ob es andere Möglichkeiten gibt, eine ärztliche Behandlung vielleicht oder eine Klage. Kirchenasyl ist die allerletzte Möglichkeit eine Abschiebung zu verhindern.

Gibt es eigentlich auch Moschee-Asyl?

Nein. Das liegt auch daran, dass die Kirchen von ihrer Verfasstheit als öffentlich-rechtliche Institutionen einen Status haben, wo sie mit den Behörden anders in Kontakt treten können. Rein theoretisch wäre das aber möglich. Wir berufen uns ja alle darauf, dass es Asylorte gibt. Die mittelalterliche Tradition ist eben, Asyl an heiligen Orten zu geben – und auch eine Moschee, eine Synagoge ist ein heiliger Ort.

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