Evangelikale bei Montagsdemos in Verden: Bibelfest gegen Impfung und Nato
Bei den Verdener „Lichterspaziergängen“ kommen Impfgegner, Russlandfreunde und christliche Fundamentalisten zusammen.
In der niedersächsischen Stadt nahe Bremen sagte der Bauunternehmer Heiko Rübke aus Langwedel, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe auf Twitter Mitleid für die Kinder in der Ukraine geäußert. Von den rund 300 Protestierenden erklang ein höhnisches „Ooochh!“. Rübke fuhr fort, die Ereignisse dort seien weit schlimmer, „als das was unsere Kinder erleben“. Es freue ihn, dass „er empathisch für die Kinder dort ist, ich hätt's nur auch gerne für unsere Kinder!“ Freudiges Gejohle. Der Redner beklagte auch die „gebückte Haltung“ der Deutschen und ihrer Regierung.
Ein weiterer Sprecher auf der Bühne stellte „aus gegebenen Anlass in der Ukraine“ zwei Standardwerke des Verschwörungsmilieus vor: „Fremdbestimmt“ von Thorsten Schulte und „Schwarzbuch EU und NATO – Warum die Welt keinen Frieden findet“ von Wolfgang Effenberger. Schulte gehörte zu den von der AfD eingeladenen Störern im Bundestag bei der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz im November 2020. Ex-Offizier Effenberger schrieb im vom Verfasssungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführten Magazins Compact und trat im pro-russischen Youtube-Kanal Druschba FM auf. Der anschließende Applaus offenbarte: In Verden waren viele Putin-Versteher versammelt.
Ein paar Wochen vorher, am Valentinstag, war beim Verdener Lichterspaziergang der Prediger Johann Hesse aufgetreten. Den Protest in der Stadt trägt auch ein evangelikales Milieu vor Ort mit. „Wir werden aufstehen und Widerstand leisten“, rief der schmächtige Mann mit kräftiger Stimme bei seinem bei Youtube veröffentlichten Auftritt in Verden: „Wir lieben unsere Grundrechte, sie sind Abwehrrechte.“
Gegen Teufel und Coronamaßnahmen
Der christliche Aktivist, der bei BibelTV moderiert, spricht auch mal von „der Lüge von der Gleichwertigkeit der Religionen“ und weiß, „der Teufel“ wolle „uns glauben lassen, dass es nur dieses eine Leben gibt“. Doch „es gibt ein anderes Reich“, aber das „will der Satan Dir verschließen!“
Der bibeltreue Hesse predigt in Gleichnissen, plädiert dabei nicht nur gegen Impfungen, da diese mit Zelllinien von abgetriebenen Föten entwickelt worden seien, sondern auch gegen jegliche G-Regeln und allgemeine Schutzmaßnahmen wie Maskentragen oder Abstand halten im Gottesdienst.
Hesses Predigten werden im Netz veröffentlicht. In einer zitiert er den Chemnitzer Pfarrer Theo Lehmann, der schon bei Pegida und der Jungen Alternative Sachsen auftrat: „Was wir brauchen, sind KZ-fähige Christen!“ Und es heiß weiter: „Wir brauchen keinen christlichen Kuschelclub, sondern wir brauchen Christen, die bereit sind auch in die Konzentrationslager zu gehen und zu leiden für Christus“. Denn ein „Wohlfühlchristentum“ komme „nicht weit“. Hesse gehe auf die Straße, weil er nicht in einem Land leben wolle, in dem „fachliche Kritik mundtot“ gemacht werde.
Sympathien für homophoben Bremer Pfarrer Latzel
Hesses Sympathien gehören einem umstrittenen Glaubensbruder. Er setzt sich öffentlich ein für Olaf Latzel, Pfarrer der St. Martini-Gemeinde in Bremen, der mit öffentlichen Statements und Petitionen radikale Positionen gegen Homosexualität einnimmt. Hesse selbst predigt in Latzels Gemeinde. Seine auf einem Rittergut ansässige Verdener Familie gehört zum Landadel, der Vater engagiert sich für Glauben und AfD.
Beruflich wird Hesse als Geschäftsführer einer religiösen Einrichtung in Walsrode-Düshorn benannt: dem „Gemeindehilfsbund“. Die gemeinnützige Organisation will „Christen in Not“ helfen, bietet Seelsorge und vor allem Veranstaltungen an. Auf einer vom „Gemeindehilfsbund“ betriebenen Internetseite werden homophobe, antifeministische und islamophobe Texte verbreitet.
Hesse organisiert Fahrten nach Berlin zu Märschen „für das Leben“ von Abtreibungsgegnern. Thema ist zur Zeit auch der mögliche Wegfall des Werbeverbotes für Abtreibungen, öffentlich beklagt Hesse den „Massenmord im Mutterleib“, spricht von „73 Millionen getöteten Kindern“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren