Evakuierung von Zivilisten gescheitert: Gefangen in Mariupol

Mehr als 400.000 Menschen sitzen ohne Strom und Wasser fest. Andauernder Beschuss verhindert die Öffnung humanitärer Korridore.

Brand in einem großen Haus

Ein Wohngebiet in Mariupol. Seit dem 4. März kommen keine Fotos aus der Stadt mehr an Foto: reuters

BERLIN taz | Die geplante Evakuierung von mehreren hunderttausend Zivilisten aus der umkämpften Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer ist gescheitert. Auch eine für den Sonntag erhoffte Einrichtung eines humanitären Korridors um die Millionenstadt Charkiw kam bisher nicht zustande.

Die Rettung von Zivilisten in Mariupol entlang vorgesehener humanitärer Korridore sei gestoppt worden, hieß es am Sonntag aus dem ukrainischen Innenministerium. Grund sei der fortgesetzte Beschuss durch russische Truppen. Zuvor hatten prorussische Separatisten aus der „Volksrepublik Donezk“ mitgeteilt, 300 Menschen hätten die Stadt „trotz Provokationen ukrainischer Nationalisten“ verlassen. Die Angaben waren nicht überprüfbar.

„Inmitten verheerender Szenen menschlichen Leids in Mariupol ist heute ein zweiter Versuch, mit der Evakuierung von rund 200.000 Menschen aus der Stadt zu beginnen, gestoppt worden“, erklärte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Die Evakuierungen hätten am Sonntag um 12 Uhr Ortszeit beginnen sollen. Eine örtliche Waffenruhe sollte demnach von 10 bis 21 Uhr gelten. Eine ähnliche Waffenruhe in Mariu­pol und in der nahe gelegenen Stadt Wolnowacha war bereits am Samstag gescheitert. Dadurch steckten Frauen, Kinder und ältere Menschen angesichts weiteren Beschusses durch russische Truppen fest.

Die Stadtverwaltung von Mariupol beschuldige die russischen Truppen, sich nicht an eine vereinbarte Feuerpause zu halten. Dagegen erklärte das russische Verteidigungsministerium, es seien Schüsse aus der Stadt auf Stellungen russischer Truppen abgefeuert worden. Beide Seiten hatten sich am vergangenen Donnerstag bei Gesprächen in Belarus auf die Einrichtung humanitärer Korridore für Zivilisten geeinigt.

Der Bürgermeister von Mariupol, Wadym Boitschenko, sprach von einer Blockade seiner Stadt und den dort lebenden etwa 440.000 Menschen durch russische Angriffe. Vize-Bürgermeister Serhi Orlow warf den Angreifern vor, sie hätten Sammelstellen der Zivilisten beschossen. 20 von insgesamt 50 Evakuierungsbussen seien zerstört worden.

Der Notfalldirektor von Ärzte ohne Grenzen, Laurent Ligozat, sagte, in der Stadt gebe es kein Wasser und keinen Strom mehr, die Lebensmittel würden knapp. „Die Szenen aus Mariupol und anderen Städten heute sind herzzerreißend“, teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz am Samstag mit.

Leichen auf der Straße, die niemand wegräumt

Der 27-jährige IT-Experte Maxim, der sich um seine Großeltern kümmert, berichtete gegenüber der BBC, der Beschuss habe eingesetzt, als er gerade mit seinem Auto losfahren wollte. Viele Menschen seien für ihre Evakuierung in die Innenstadt gekommen und kämen nun dort nicht mehr weg. Die Wohnung der Großeltern sei von Menschen überfüllt, deren Häuser brennen. Inzwischen seien die Wasservorräte in der Wohnung ausgegangen. Es lägen viele Leichen auf den Straßen, die niemand wegräumen würde.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski rief zur weiteren Verteidigung von Mariupol auf. „Alle, die Hilfe brauchen, sollten die Möglichkeit bekommen rauszukommen“, sagte er. „Alle, die ihre Stadt verteidigen möchten, sollten den Kampf fortsetzen.

Die Industriestadt gilt als strategisch besonders wichtig. Mit ihrer Einnahme könnten die russischen Truppen einen Landkorridor entlang des Asowschen Meers von der Krim bis zu den seit 2014 durch Separatisten besetzten Gebieten im Osten des Landes um Donezk herstellen.

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