Evakuierung von Flüchtlingen aus Libyen: Raus aus der Hölle
Die Lage in Tripolis spitzt sich weiter zu. Nun wollen UN und Afrikanische Union rund 500 Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda evakuieren.
Der 28-jährige Libyer mit der roten Weste kann die aufgeregten Menschen gut verstehen. „Bis vor Kurzem wurden nur Schwarze in Tripolis wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Seit dem Krieg um Tripolis, seit April, richtet sich die Wut der Tripolitaner auch gegen Syrer oder Sudanesen.“
Die Nerven in Tripolis liegen blank. Die Kriegsfront ist nur zehn Kilometer vom Zentrum der Zweimillionenstadt entfernt. Auffahrunfälle werden schnell zu Schlägereien, Alte betteln vor Restaurants, Jugendgangs hantieren in der Dämmerung auf der Straße mit ihren Pistolen. Zwischen den Stromausfällen eilen die Menschen von Laden zu Laden, um ihre Einkäufe zu erledigen.
Migranten trauen sich nach Sonnenuntergang nicht auf die Straße. Eljahr sagt: „Je mehr libysche Kriegsflüchtlinge in die Stadt kommen, desto schwieriger wird es für die Migranten aus Subsahara-Afrika.“ Als Dunkelhäutiger sei man in Tripolis Freiwild. Afrikaner fürchten, auf der Straße entführt oder ausgeraubt zu werden.
Optionen nach der Evakuierung
Doch jetzt soll es für die in Libyen gestrandeten Flüchtlinge aus Afrika südlich der Sahara Hoffnung geben. Ruandas Regierung unterzeichnete am Dienstag mit der Afrikanischen Union (AU) und dem UNHCR eine Vereinbarung, wonach rund 500 Flüchtlinge nach Ruanda evakuiert werden sollen. Erweist sich diese erste Evakuierung als erfolgreich, können weitere folgen, so der UNHCR.
„Das wird Menschenleben retten“, sagt Vincent Cochetel, der für den UNHCR für Europa zuständig ist und den Deal mit ausgehandelt hat. Nach seinen Angaben wurden vor allem Flüchtlinge aus Ländern wie Eritrea oder Somalia ausgewählt, die keine Chance auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat haben und in Libyen auf der Straße leben. „Wir werden nicht alle Flüchtlinge aus Libyen retten können, weil wir dafür keine Kapazitäten haben“, so Cochetel gegenüber der taz. Doch die Ruanda-Option sei ein wichtiger Beitrag, um „langfristige Lösungen zu suchen“.
In Ruanda kommen die Flüchtlinge in ein Auffanglager im Bezirk Gashora außerhalb der Hauptstadt, erklärt Flüchtlingsminister Germaine Kamayirese. Dort gibt es laut UNHCR Kapazitäten und nur geringen Reparaturbedarf. Der UNHCR überlässt den Evakuierten die Entscheidung, wie er weitergeht. Entweder sie lassen sich in Ruanda nieder, dann erhalten sie ein Startpaket: Schulbildung, Chancen auf eine Berufsbildung, Krankenversicherung. Für diejenigen, die nicht langfristig in Ruanda bleiben wollen, will der UNHCR Lösungen suchen: die Umsiedlung in die USA oder Kanada oder die freiwillige Rückkehr nach Hause.
Das Schema folgt dem Modus, den der UNHCR im November 2017 bereits für Umsiedlungen in die von der EU und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) finanzierten Auffangzentren in Niger angewandt hat. Mit diesem sogenannten Notfall-Transit-Mechanismus hat der UNHCR seit 2017 rund 2.800 Flüchtlinge aus Libyen nach Niger, rund 270 nach Rumänien und über 560 nach Italien evakuiert – aber das war nur ein Bruchteil der Gesamtzahl.
„Wir suchen nicht nach einem einzigen Land oder Kontinent, um die Probleme zu lösen“, so Cochetel von UNHCR. „Wir fordern vor allem von Libyens Regierung, ihre Verantwortung zum Schutz dieser Menschen zu übernehmen.“
Kritiker zweifeln an dem Deal
Das kleine Ruanda beherbergt schon rund 150.000 Flüchtlinge, vor allem aus Kongo und Burundi. Ruandas Präsident Paul Kagame sprach im November 2017 das Angebot aus, bis zu 30.000 Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen, um das Leid dort zu beenden. Für Ruandas Präsident, der damals kurz davor war, den einjährigen AU-Vorsitz zu übernehmen, war dies ein Propagandastreich. Seine Offerte kam nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden von Sklavenmärkten in Tripolis, auf welchen Flüchtlinge für wenige hundert Dollar von Milizen verkauft wurden, und direkt vor einem Gipfel zwischen der EU und der AU, bei welchem erneut über die Migrationsproblematik diskutiert, aber keine Lösung erzielt wurde. Der energische Panafrikanist Kagame spricht sich regelmäßig gegen Europa aus und propagiert afrikanische Lösungen für Afrikas Probleme.
Kritiker zweifeln an dem Deal. Zwischen 2013 und 2015 hat Ruanda bereits eritreische Flüchtlinge aufgenommen, die in Israel gestrandet waren. Sie wurden damals unter einem dubiosen bilateralen Abkommen ohne UNHCR-Aufsicht deportiert. Die meisten Flüchtlinge blieben damals nicht in Ruanda, sondern zogen weiter ins Nachbarland Uganda, wo es eine große eritreische Gemeinde gibt.
Die größte Herausforderung bei dem Deal ist die Logistik. Die Evakuierung sollte ursprünglich vom internationalen Flughafen von Tripolis aus laufen, doch derzeit schießt die lokale Bukhra-Miliz regelmäßig Raketen auf die Landebahn. Die nach dem Spitznamen ihres Kommandeurs „Kuh“ benannte Gruppe fordert die Freilassung von Milizionären, die zusammen mit Kämpfern des „Islamischen Staates“ (IS) in dem Gefängnis auf dem Flughafengelände einsitzen. Deswegen, so Cochetel, wird der erste Evakuierungsflug wohl voraussichtlich in wenigen Tagen aus der rund 200 Kilometer entfernten Stadt Misrata erfolgen.
Die Macht der Milizen
UNHCR und IOM sind zusammen mit dem Innenministerium der relativ machtlosen libyschen Regierung in Tripolis für zwölf Lager in Westlibyen zuständig, in denen Migranten festgehalten werden. Trotz einer Kooperationsvereinbarung wird lokalen UNHCR-Mitarbeitern oft der Zugang verwehrt. „Kleidung oder Medikamente müssen dann vor dem Eingang abgegeben werden“, sagt ein UNHCR-Helfer der taz. „Die Milizen sind unantastbar, und wegen des Krieges ist die Regierung von den bewaffneten Gruppen abhängiger als je zuvor.“
Die Regierung in Tripolis wehrt sich mit Hilfe der Milizen gegen den ostlibyschen General Khalifa Haftar, der seit April versucht, die libysche Hauptstadt zu erobern. Die andauernden Kämpfe am südlichen Stadtrand verschärfen die Situation der Migranten. Bei einem Besuch der Frontlinie bei Wadi Rabia südöstlich von Tripolis stieß die taz auf einzelne Gruppen von Migranten in Bussen. Nur wenige Kilometer von der Frontlinie suchten rund 50 Afrikaner für die Banyan-Marsous-Brigade, eine Miliz aus Misrata, in von Drohnen zerstörten Gebäuden nach Blindgängern.
Vor allem Frauen mit Kindern bleiben mittlerweile lieber in den von Milizen bewachten Lagerhallen, solange sie keine sichere Unterkunft in der Stadt haben. Die Macht der Milizen könnte noch zum größten Stolperstein für das UN-Evakuierungsprojekt werden. Mohamed Eljahr mahnt: „Die neben den Gefängnissen stationierten Milizionäre lassen ihre Gefangenen oft nur gegen Geld oder nach Zwangsarbeit frei. Ein leeres Migrationsgefängnis bedeutet auch leere Milizenkassen.“
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