Evakuierung aus Afghanistan: Ist der „Shopman“ eine Ortskraft?
Afghanen, die in Bundeswehr-Camps Händler waren, werden von der Bundesregierung nicht als Ortskräfte anerkannt. Eine Klage will das ändern.
63 sogenannte Shopkeepers habe es im Bundeswehrcamp gegeben, erzählt Sayyid der taz. Sie alle leben, wie Sayyid mit seiner Familie, heute versteckt. Die Taliban suchen nach ihm, sagt er. Im August hätten sie sein Wohnhaus gestürmt. Für sie ist Sayyid ein Verräter, weil er für ausländische Truppen gearbeitet hat. Zu seinem Schutz trägt er hier einen anderen Namen. Sayyid will nach Deutschland, aber er darf nicht.
Ortskraft nur mit deutschem Arbeitsvertrag
Vergangene Woche kam die Absage-Mail von der Bundeswehr: „Als Shopkeeper waren sie nicht bei der deutschen Bundeswehr angestellt.“ Und das stimmt. Sayyid hatte keinen Arbeitsvertrag mit der Bundeswehr, sondern einen „Vertrag über die Nutzung eines Verkaufsplatzes“. So steht es über einem Dokument von 2006, gestempelt mit dem Bundesadler. Sayyid hat auch keinen Lohn von der Bundeswehr bekommen, er hat eine Standmiete für seinen Container gezahlt.
Aus Sicht des Einsatzführungskommandos waren Sayyid und seine Kollegen „afghanische Händler“, die „weder Arbeits- noch Werkverträge“ mit der Bundeswehr hatten. So schreibt es ein Sprecher auf taz-Anfrage. Das ist entscheidend, denn damit fällt Sayyid nicht in das Verfahren für Ortskräfte und darf nicht nach Deutschland kommen. Als Ortskraft wird nur anerkannt, wer nach 2013 und mit einem Arbeitsvertrag für eine deutsche Institution gearbeitet hat.
Der Leipziger Rechtsanwalt Matthias Lehnert kann das nicht verstehen. Er hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage eingereicht. Er will erreichen, dass Sayyid, seine vier Kinder und seine Frau ein Visum für Deutschland bekommen.
„Auch wenn Hamid Sayyid nicht angestellt war – die Vorgaben, die die Bundeswehr ihm für seinen Job gemacht hat, gehen zum Teil weiter als das, was Arbeitgeber ihren Angestellten normalerweise vorschreiben“, sagt Lehnert. So war vertraglich geregelt, was Sayyid verkaufen durfte (DVDs, Elektronik, Schmuck, Schnitzereien) und was nicht (Isaf-Souvenirs, pornografische und gewaltverherrlichende Schriften; später: keine Handys, keine Lebensmittel). Ein Feldlagerkommandant hatte das Recht, das Sortiment einzuschränken, Sayyids Dienstzeiten wurden festgelegt. Auf einem Ausweis der Nato wird Sayyid als „Employee“ und „Shopman“ im Camp Marmal geführt. Alle Dokumente liegen der taz vor.
Lehnert argumentiert: Wenn die Bundesregierung Sayyid schon nicht als Angestellten anerkenne, dann doch wenigstens als arbeitnehmerähnliche Person. Der arbeitsrechtliche Begriff bezeichnet Selbstständige, die von einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig sind. Sayyid habe sein Einkommen allein aus dem Stand bei der Bundeswehr bezogen. „Die Taliban unterscheiden nicht, ob eine Person einen Arbeitsvertrag oder einen Nutzungsvertrag mit der Bundeswehr hatte. Für sie sind alle Menschen Feinde, die mit ausländischen Truppen gearbeitet haben. Die Bundesregierung hat hier eine Schutzpflicht.“
Lehnert hofft auf einen ähnlichen Erfolg wie im November: Da hatte er im Namen von Fluglotsen aus Masar-i-Scharif geklagt. Da sie nur mit Werkverträgen angestellt waren, wurden sie zunächst auch nicht als Ortskräfte anerkannt. Nach Medienberichten und der Klage erhielten die Männer dann doch eine Aufnahmezusage für Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen