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Europa nach dem BörsencrashWas Zoll das?

Die US-Zollpolitik trifft die globale Wirtschaft hart. Doch es gibt noch Handlungsspielräume. Zum Beispiel die Annäherungsversuche von der Leyens.

Schwacher Start: Der Dax brach am Montagmorgen um historische 10 Prozent ein, erholte sich dann aber etwas Foto: Arne Dedert/dpa

Berlin/Brüssel taz | Als am Montag die Börsenkurse auch in Deutschland abstürzten, fühlten sich viele Leute zunächst an die Weltwirtschaftskrise von 1929 erinnert. Trotz der umfassenden, von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle, die den Crash auslösten, raten Ökonomen jedoch zu Gelassenheit. „Die Welt ist heute eine andere als damals“, sagte Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft der taz.

Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie sieht es ähnlich: „Es gibt das wachsende Risiko einer globalen Rezession, aber keine Anzeichen für eine Weltwirtschaftskrise.“ Wobei die Börsenverluste erst mal einen katastrophalen Eindruck machten. Nach ungefähr 5 Prozent Minus am vergangenen Freitag sackte die Frankfurter Börse am frühen Montag noch mal um 10 Prozent ab. Die Kurse in Tokio, Shanghai und Hongkong hatten die negative Richtung vorgegeben. Im Lauf des Tages erholten sich viele Aktienwerte aber auch wieder.

Risiko einer globalen Rezession, aber keine Anzeichen für eine Weltwirtschaftskrise

Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie

Dass Händler Aktien zu niedrigeren Preisen verkaufen und so die Kurse ins Rutschen bringen, spiegelt die pessimistischen Wirtschaftserwartungen. „Für das Jahr 2028 rechnen wir durch die Trump’schen Zölle in Deutschland mit einem BIP-Verlust von etwa 1,5 Prozent“, sagte Ökonom Matthes. Wohlgemerkt: Auch 2025 und in den kommenden Jahren wird die Wirtschaftsleistung deutlich geringer ausfallen, auch ohne die Zolllawine.

Matthes: „Über die vier Jahre bis dahin schätzen wir ein kumuliertes Minus von etwa 200 Milliarden Euro“, dabei seien Gegenmaßnahmen anderer Staaten zur Abwehr der US-Zollpolitik noch nicht eingerechnet. „Ein heftiger Schlag ins Kontor“, fasste der Wirtschaftsforscher zusammen.

Nach dem Whiskey Digitales?

Auch die Reaktionen der EU-Handelsminister fielen am Dienstag heftig aus. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck etwa bezeichnete die US-Zollpolitik beim Treffen in Luxemburg als „Angriff auf die regelbasierte Handelspolitik“. Einen „Paradigmenwechsel im globalen Handelssystem“ machte EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič aus. Nun seien „extrem aggressive“ Gegenmaßnahmen möglich, warnte der französische Handelsminister Laurent Saint-Martin.

Gegenzölle auf Harley-Davidson-Motorräder, Bourbon-Whiskey oder Levi’s-Jeans als Maßnahmen sollen am Mittwoch ohnehin beschlossen werden – als Vergeltung für die US-Zölle auf Stahl und Aluminium, die Trump bereits verhängt hatte.

Doch nun könnte die EU noch viel weiter gehen und auch Dienstleistungen und digitale Angebote aus den USA abstrafen. Denkbar wäre, dass Brüssel US-Patente aussetzt, den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen blockiert oder den Vertrieb bestimmter Produkte verbietet. Auch eine Digitalsteuer ist im Gespräch. Damit könnte die EU nicht nur große US-Konzerne wie Google, Meta oder X unter Druck setzen, sondern indirekt auch Trump treffen – denn X-Chef Elon Musk gehört zu Trumps engsten Beratern.

Die Idee trifft jedoch auch auf Widerstand. Vor allem Irland, wo viele US-Digitalkonzerne ihren Europasitz haben, steht auf der Bremse. Handelsminister Simon Harris warnte vor der „nuklearen Option“. Eine Digitalsteuer wäre „eine außerordentliche Eskalation zu einer Zeit, in der wir auf eine Deeskalation hinarbeiten müssen“.

Vorteile eines Handelskriegs

Sowohl die Zölle der USA als auch die Gegenzölle anderer Staaten bremsen den internationalen Handel. In der Folge erwirtschaften transnationale Unternehmen weniger Umsätze und Gewinne. Sie könnten vorsorglich ihre Investitionen zurückschrauben. Das wiederum hat Rückwirkungen für die Zahl der Beschäftigten – die Erwerbstätigkeit wird eher stagnieren als wachsen. Der Staat erhält damit weniger Steuern und auch Einnahmen der Sozialversicherung werden in Mitleidenschaft gezogen.

Privathaushalte spüren die Auswirkungen aber auch direkt. Steigende Arbeitslosigkeit führt zu Einkommensverlusten. Aber auch Erwerbstätige werden die nachteilige Wirtschaftsentwicklung zu spüren bekommen: Die Löhne steigen weniger oder gar nicht. Auch langfristige Auswirkungen sind nicht ausgeschlossen. Der Dämpfer der Aktienkursentwicklung kann die Vermögen schmälern, die Privathaushalte durch Kapitalanlagen für ihr Rentenalter erwirtschaften.

Allerdings erwarten Öko­no­m:in­nen bei einem Zollkrieg auch Vorteile. Erstens: Weil vielen Firmen der Zugang zum großen US-Markt erschwert wird, bieten sie ihre Produkte vermehrt in Europa an. Die Konkurrenz nimmt zu, Preissteigerungen fallen damit schwächer aus und die Inflation geht zurück. Zweitens könnten wegen der mangelnden Wirtschaftsdynamik Rohstoffpreise sinken. Zu Beginn dieser Woche wurde Rohöl bereits billiger, was sich in sinkenden Preisen für Benzin und Heizöl niederschlagen dürfte.

Doch Bundesregierung und EU-Kommission haben Einfluss auf die Entwicklungen. Der Hinweis, dass es sich bei der EU mit ihren 450 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen um den größten Binnenmarkt der Welt handelt, entspringt nicht nur Zweckoptimismus. Würde zum Beispiel der Kapitalfluss über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg erleichtert, fiele es neuen Firmen in Deutschland nicht mehr so schwer, Investorenkapital aus den Nachbarländern heranzuziehen.

In Zukunft zollfrei?

Zudem handelt es sich bei den USA nur um eine, wenn auch die weltweit stärkste Wirtschaftsnation. Mehr Kooperationen zwischen der EU und Südamerika, Indien und Südostasien könnten bald einen Ausgleich für das verlorene Handelsvolumen mit den USA schaffen.

Die deutsche Kommissionschefin Ursula von der Leyen brachte nun eine neue Option ins Spiel. Die EU sei bereit, mit den USA über Freihandel bei Industriegütern zu verhandeln, erklärte sie in Brüssel. Von der Offerte waren sogar die EU-Handelsminister überrascht. Würde Trump mit der EU ein umfassendes Zollabkommen auf Industriegüter schließen, sähe die Wirtschaftswelt bald freundlicher aus als befürchtet.

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6 Kommentare

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  • VDL will sich also an einen Verbrecher und Erpresser annähern?



    So tief dürfen wir keinesfalls sinken.

    Der einzige Lichtblick bei diesem Ansatz ist, dass man immer sagen kann "wir wollten ja verhandeln, aber Trump hat sich irrational verweigert, er will ja ger keine Einigung. Also können wir jetzt..."

  • Es ist lächerlich wie alle versuchen Trump zufrieden zu stellen während er im eigenen Land immer weniger Unterstützung bei seinen Tarifen hat. Es trifft zu aller erst die Amerikaner und deren Bürger und jetzt bei eben diesen zu Betteln und Füße zu küssen ist genau der Grund wieso sie uns immer wieder so behandeln werden.

  • "Die EU sei bereit, mit den USA über Freihandel bei Industriegütern zu verhandeln, erklärte sie in Brüssel. "

    Wie kommt Frau vdL darauf, dass Trump so ein Abkommen möchte? Und wenn, wäre das wirklich zu unserem Vorteil? Trump würde auch seine Bedingungen stellen...

  • Wie peinlich, statt ruhig zu bleiben kommt Frau von der Leyen sofort mit so einem schnellen Vorschlag um die Ecke. Wie sinnvoll der auch sein mag, Trump hat damit demonstriert dass er die EU-Kommision über jedes Stöckchen springen lassen kann. Im normalen Leben lässt man solche aggressiven Geschäftsleute / Kasper doch auch erstmal links liegen und wenn sie sich beruhigt haben und einen halbwegs vernünftige Vorschlag haben, dann kann man darüber reden, ansonsten lässt man die halt. Das ist im Moment wie mit Putin, wenn man da Zugeständnisse macht, denkt der auch er kann weiter machen. Was soll mit Trump sein, wenn man ihm jetzt Freihandel ohne Zoll zusagt, dann denkt sein Schwachmaten Team sich was neues aus und nennt es MAGA-Importsteuer oder Antiwoke-Strafe oder schlicht Schutzgeld. Der Kasper muss liefern, sonst läuft das Publikum mit dem kindlichen Gemüt irgendwann doch weg.

  • Die EU ist weder nach dem BIP noch nach der Bevölkerung der größte Binnenmarkt !!!

    #BIP



    USA: $30,337 Billionen



    EU: $20 29 Billionen



    China: $19,535 Billionen



    ---



    #Bevölkerung



    China: 1,411 Milliarden



    EU: 450 Millionen



    USA: 340 Millionen

  • Manchmal ist Nichtstun die beste Alternative.



    Wir haben doch gewusst, was kommt. Da war Nichtstun doch auch gut. Lasst ihn zappeln, der kommt schon, nicht in der AirForce One, sondern gekrochen. Bin ich sicher.