Eurogruppenchef in der Kritik: „Geld für Schnaps und Frauen“
Der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem bangt zu Hause um seinen Job und redet sich in Brüssel um Kopf und Kragen.
Wütend kommentierte die konservative Zeitung El Mundo aus Spanien, dass es kaum möglich sei, „noch mehr Vorurteile, Stereotype, moralische Überheblichkeit und Sexismus“ in einem Satz zu vereinigen. Auch in den anderen Krisenländern war die Empörung groß: Der italienische Expremier Matteo Renzi forderte Dijsselbloem auf, als Eurogruppenchef zurückzutreten. „Je früher er geht, desto besser“, schrieb Renzi auf Facebook. Der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva sagte, Dijsselbloems Äußserungen seien „vollkommen inakzeptabel“. Er sei nicht geeignet, „Vorsitzender der Eurogruppe zu bleiben“.
Dijsselbloem kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Am Mittwoch erläuterte sein Sprecher: Der Eurogruppen-Chef habe nur allgemein über die Solidarität in der Eurozone gesprochen und kein Land direkt gemeint. Dijsselbloems Amtszeit als Eurogruppenchef läuft bis zum 1. Januar 2018. Allerdings könnte es sein, dass er das Amt schon vorher aufgeben muss.
Die Sozialdemokraten haben bei der Wahl in den Niederlanden stark verloren und Dijsselbloem dürfte seinen Posten als niederländischer Finanzminister verlieren. Bisher war es jedoch üblich, dass nur Finanzminister nebenher als Eurogruppen-Chef amtieren können.
Streit schon am Vortag, diesmal wegen Eurokrise
Bereits am Vortag hatte Dijsselbloem einen heftigen Streit ausgelöst. Dabei ging es um eine Idee, die so alt ist wie die Eurokrise. Statt sich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) abhängig zu machen, könnte Europa eine eigene Institution zur Überwachung und Stützung von Krisenländern aufbauen. Dijsselbloem hat nun erstmals eine klare Präferenz geäußert – und prompt gab es Krach.
Er sei dafür, den Eurorettungsfonds ESM „mittel- bis langfristig zum europäischen IWF“ umzubauen, sagte der Niederländer nach dem Treffen der Eurogruppe am Montag in Brüssel. Es wäre „hilfreich, wenn wir die Expertise des ESM nutzen könnten“. Allerdings gäbe es darüber noch keinen Konsens, fügte er auf Nachfrage der taz hinzu.
Das ist noch milde ausgedrückt. Denn EU-Währungskommissar Pierre Moscovici widersprach auf offener Bühne. Zwar könne man durchaus darüber nachdenken, den ESM, der bereits in Griechenland mit Milliardenkrediten hilft, mit neuen Aufgaben zu betrauen. Dies sei Teil der laufenden Überlegungen zur Reform der Währungsunion. Allerdings sei er dagegen, den ESM auch noch mit der Haushaltsüberwachung in der Eurozone zu beauftragen, so der Franzose. Statt die EU-Kommission in dieser Frage zu entmachten, solle die Brüsseler Behörde aufgewertet werden – mit einem eigenen Finanzminister oder einem neuartigen Eurobudget. „Außerdem brauchen wir eine demokratische Kontrolle“, fügte Moscovici hinzu.
Damit ist der Streit über die Zukunft des ESM voll entbrannt. Hinter Dijsselbloem steht vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der die EU-Kommission schon lange wegen angeblich zu laxer Kontrolle der nationalen Budgets kritisiert. Hinter Moscovici steht dagegen das Europaparlament, das mehr Mitsprache will.
Dass der Streit ausgerechnet jetzt ausbricht, ist kein Zufall. Dijsselbloem würde gern Chef der Eurogruppe bleiben, und das vielleicht sogar hauptamtlich. Dafür braucht er die Hilfe Deutschlands, seit sein Job zuhause in Gefahr ist. Die Eurogruppe wäre seine Rettung vor dem Verschwinden in der politischen Versenkung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört