EuGH-Klage gegen Vorratsdaten: Großes Netz, kleine Fische
Datenschützer zeigen, dass Vorratsdatenspeicherung kaum hilft, Delikte aufzuklären. Die Sammelklage könnte weitreichende Konsequenzen für die gesamte EU haben.
LUXEMBURG taz | „Ich bitte Sie, entscheiden Sie für die Freiheit“, plädierte der österreichische Anwalt Ewald Scheucher am Dienstagvormittag in Luxemburg. Er ist Vertreter einer österreichischen Massenklage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das Verfahren hat Auswirkungen auf die ganze EU. Der EuGH muss entscheiden, ob die EU-Richtlinie zur Aufbewahrung von Daten gegen EU-Grundrechte verstößt. Die Frage wurde vom irischen High Court und dem österreichischen Verfassungsgerichtshof vorgelegt.
Die Richtlinie stammt aus dem Jahre 2006: Sie verpflichtet die nunmehr 28 EU-Staaten, in ihrem nationalen Recht eine Vorratsdatenspeicherung einzuführen, damit die Polizei im Verdachtsfall die dort enthaltenen Informationen anfordern kann. Das heißt: Telefonfirmen müssen festhalten, wer wen wann und wo angerufen hat. Internetfirmen müssten die Verkehrsdaten der E-Mails aufbewahren und wer wann mit welcher IP-Adresse online ging. Fast alle EU-Staaten haben diese Pflicht umgesetzt, Deutschland aber nicht.
„Die Vorratsdatenspeicherung schafft de facto die Privatsphäre ab“, kritisierte Anwalt Scheucher. Schon das bloße Aufbewahren – nicht erst der Zugriff auf die Daten – bringe „Anpasser und Duckmäuser“ hervor. Auch bloße Verbindungsdaten hätten große Aussagekraft, so Scheucher, „wenn zum Beispiel ein junger Mann mehrfach die Aidsberatung anruft oder die Unternehmerin einen Anwalt für Steuerstrafrecht.“
Eine große Rolle bei den Richtern in Luxemburg werden die Zahlen der österreichischen Regierung spielen. Danach forderte die Polizei des Alpenstaats von April 2012 bis März 2013 nur 326-mal zwangsgespeicherte Telefon- oder Internetdaten an. 139 Fälle sind schon abgeschlossen, dabei trugen die Daten in 56 Fällen wesentlich zur Aufklärung bei – belastend oder entlastend.
„Völlig unverhältnismäßig“
„Angesichts von 580.000 Strafanzeigen spielen die Vorratsdaten also nur in einer verschwindend geringen Zahl von Fällen eine Rolle“, schlussfolgerte Gerald Otto, ein weiterer österreichischer Klägeranwalt. „Da ist es doch völlig unverhältnismäßig, alle Daten der gesamten Bevölkerung vorsorglich zu speichern.“
Laut österreichischer Regierung betrafen die 56 nützlichen Anwendungsfälle unter anderem 16 Diebstähle, zwölf Drogendelikte und zwölf Fälle von Stalking, aber keinen Fall von Terrorismus und wohl keinen Fall von organisierter Kriminalität. EuGH-Richter Thomas von Danwitz erinnerte daran, dass die Richtlinie eigentlich auf „schwere Kriminalität“ zugeschnitten war, nicht auf Diebstähle.
„Die Richtlinie führt dazu, dass vor allem die Daten normaler Bürger gespeichert werden, während es für Terroristen und Kriminelle, die etwas Aufwand betreiben, genügend Möglichkeiten zu anonymer Kommunikation gibt“, betonte Hielke Hijmans, Mitarbeiter des Europäischen Datenschutzbeauftragten. „Mit etwas Aufwand kann man jedes Schloss öffnen“, entgegnete ein Vertreter des EU-Ministerrats, „trotzdem benutzen wir Schlösser, um Dieben das Leben zu erschweren.“
Bundesregierung schweigt
Neben dem EU-Ministerrat und der EU-Kommission sprach sich auch das Europäische Parlament für die Rechtmäßigkeit der Richtlinie aus. Unterstützt wurden sie von den Regierungen von England, Irland, Italien und Spanien. Die österreichische Bundesregierung ließ offen, ob sie die Richtlinie für verhältnismäßig hält; SPÖ und ÖVP konnten sich nicht einigen. Die deutsche Bundesregierung hatte erst gar keine Stellungnahme abgegeben.
Der deutsche Richter Thomas von Danwitz, der als Berichterstatter das Urteil vorbereitet, zeigte durch zahlreiche scharfe Nachfragen, dass er die Richtlinie für unverhältnismäßig hält. Allerdings scheint er eine auf drei Monate verkürzte Vorratsdatenspeicherung für zulässig zu halten. Auch andere der 15 Richter stellten kritische Fragen.
Als nächster Schritt wird am 7. November der unabhängige EuGH-Generalanwalt Cruz Villalón seinen Schlussantrag – eine Art Gutachten – veröffentlichen. Das Urteil des EuGH wird dann einige weitere Monate später folgen.
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