Ethikerin über Landwirtschaft: „Landwirte fühlen sich angegriffen“
Die Wissenschaftlerin Lieske Voget-Kleschin erklärt, warum Landwirtschaft keineswegs per se als unmoralisch bezeichnet werden kann.
taz: Frau Voget-Kleschin, wie moralisch ist die Landwirtschaft?
Lieske Voget-Kleschin: Ich würde mich davor scheuen zu sagen, die Landwirtschaft generell handelt moralisch oder unmoralisch. Man unterscheidet in der Philosophie zwischen Ethik und Moral. Moral ist das Gesamtsystem der Werte und Normen, die wir anerkennen. Aus philosophischer Perspektive ist jedes Tun ein Ausdruck von Moral. Wenn man den Begriff moralisch im Sinne einer Bewertung nutzt, damit also ausdrücken will, dass man etwas als gut und richtig oder falsch bewertet, muss man sich einzelne Akteure ansehen.
Es gibt ein aktuelles Beispiel in Niedersachsen: Landwirte haben vermutlich gegen Auflagen verstoßen und haben ein Insektengift statt punktuell großflächig auf Rübenackern ausgebracht.
Das ist natürlich ein moralisch falsches Verhalten, wenn es eine bestimmte Regelung gibt und einzelne Landwirte sich einfach nicht daran halten. Es ist von landwirtschaftlichen Vertretungen nicht klug, nur abzuwehren und nicht aufzuklären. In dieser Hinsicht ist die Situation sehr eingefahren. Die Gesellschaft auf der einen Seite wirft den Landwirten oft pauschalisierend vor, falsch zu handeln, und die Landwirte auf der anderen Seite fühlen sich nicht gewertschätzt und angegriffen.
Die Landwirtschaft gilt oft als Klimasünderin. Könnten Landwirt*innen nicht mehr fürs Klima tun?
Erstmal ist es wichtig zu sehen, dass sich Landwirte in politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen bewegen müssen, die sie selbst so nicht gewählt haben und als Einzelperson auch schwer ändern können. In diesem Rahmen gibt es durchaus einen Gestaltungsspielraum, den auch einzelne Landwirte nutzen und zum Beispiel mehr für das Klima oder den Erhalt von Biodiversität tun als andere. Die Frage ist, inwieweit einzelne Landwirte moralisch verpflichtet sind, einen bestimmten Gestaltungsspielraum für mehr Klima- und Biodiversitätsschutz auszunutzen.
Jahrgang 1979, forscht an der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel, unter anderem zu den Themen Umwelt- und Landwirtschaftsethik.
Wie sehen Sie das als Ethikerin?
In der Ethik unterscheidet man zwischen moralischen Pflichten, etwa der Pflicht, nicht zu lügen oder zu stehlen. Und dann gibt es sogenannte supererogatorische Pflichten. Das sind die, von denen wir sagen, es ist wünschenswert, dass Menschen das tun, aber wir können es nicht von ihnen verlangen. Ein typisches Beispiel ist, einer alten Dame, die am Straßenrand steht, über die Straße zu helfen. Wir wünschen uns, dass jemand das tut, aber wir können ihn nicht moralisch dafür verurteilen, wenn er es nicht tut. Landwirte sind – auch moralisch – verpflichtet, sich an die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu halten. Geht es um Handlungsspielräume von Landwirten, über diese Regelungen hinaus mehr für Klima- oder Biodiversitätsschutz zu tun, würden wir uns als Gesellschaft zwar wünschen, dass Landwirte diese ausnutzen, aber wir können sie nicht moralisch dafür verurteilen, wenn sie es nicht tun. Es gibt aber andere Möglichkeiten.
Welche?
Die Artenvielfalt zu erhalten und das Klima zu schützen sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Selbstverständlich müssen sich Landwirte an gesetzliche Auflagen halten und es spricht einiges dafür, dass diese Auflagen in einigen Bereichen verschärft werden müssen. Wenn sich die Gesellschaft aber darüber hinaus mehr von diesen Gemeingütern wünscht, dann wäre es sinnvoll, die Rahmenbedingungen für Landwirte auch dementsprechend zu ändern. Was Nichtregierungsorganisationen schon länger fordern, ist, dass Landwirte langfristig ausschließlich dafür EU-Mittel erhalten, wenn sie Gemeingüter erzeugen. Etwa wenn sie durch die Art, wie sie wirtschaften, zum Erhalt der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft beitragen. Neben den Rahmenbedingungen gibt es aus ethischer Sicht auch einen anderen interessanten Punkt, nämlich der Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Landwirtschaft.
Was ist interessant daran?
Teile der Anforderungen, die die Gesellschaft an die Landwirtschaft stellt, gehen nicht auf normative Vorstellungen zurück, also Vorstellungen davon, dass ein bestimmtes Tun ge- oder verboten ist, sondern auf sogenannte eudaimonistische Vorstellungen, also Wünsche, wie eine gute Landwirtschaft aussehen solle. Und diese Wünsche oder Erwartungen sind teilweise schwer mit der Realität in der Landwirtschaft vereinbar. Es besteht zum Beispiel der Wunsch nach einer idyllischen, familiären Landwirtschaft. Aber auch wenn wir Bio-Eier kaufen, sind die selten von einer Handvoll Hühner, die auf der Wiese herumlaufen. Auch die Bio-Haltung von Legehennen erfolgt häufig in vergleichsweise großen Beständen, gemäß der Auflagen von Bioverbänden etwa in ein bis vier Ställen mit jeweils 3.000 Hühnern. Viele Menschen würden das als „Massentierhaltung“ wahrnehmen und es intuitiv ablehnen.
Sie halten auf dem Kongress einen Vortrag mit dem Thema: Was kann und will Ethik (in) der Landwirtschaft. Was kann Ethik in der Landwirtschaft?
Ethikerinnen sind meiner Ansicht nach nicht besser darin, moralische Urteile zu fällen, als andere. Unsere Kompetenz liegt darin, dass wir uns mit der Urteilsbildung auseinandergesetzt haben. Wir können einen Beitrag dazu leisten, gemeinsam mit den Beteiligten, etwa mit Landwirten, gute Urteile zu fällen. Wir können darauf hinweisen, ob wir uns gerade über Fakten oder über Normen uneins sind. Wenn wir uns über Fakten streiten, kann es hilfreich sein, eine Diskussion zu versachlichen. Streiten wir uns über Normen, sind also zum Beispiel unterschiedlicher Auffassung darüber, wer die Verantwortung trägt, Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren, müssen diese normativen Fragen auch als solche diskutiert werden. Mehr Fakten helfen da nicht weiter. Es hängt auch viel davon ab, wie man Diskussionen führt.
Inwiefern?
Die Frage, wer für etwas Verantwortung trägt, kann man beispielsweise retrospektiv führen, also fragen, was schief gelaufen ist und wer daran schuld ist. Man kann Verantwortung aber auch prospektiv verstehen und fragen, was jeder Einzelne und was bestimmte Gruppen tun können, damit sich negative Ereignisse in Zukunft nicht wiederholen. Zu einer solchen konstruktiven Diskussionskultur kann und möchte ich als Ethikerin beitragen.
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