Essay Sprache und Geschlecht: Die Wirkungsmacht der Literatur
Die Linke appelliert an den Verstand, die Rechte an den Bauch. Warum wir eine Poesie der gendergerechten Sprache brauchen.
Pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März setzten zahlreiche Männer und einige Frauen ihre Namen unter Aufrufe gegen gendergerechte Sprache. Den Anfang machte eine Onlinepetition, zu deren Erstunterzeichnenden der mit der Identitären Bewegung fraternisierende Autor Matthias Matussek und der seit 2017 in rechtem Fahrwasser segelnde Ingeborg-Bachmann-Preisträger Uwe Tellkamp gehören.
Der Verein für deutsche Sprache legte zwei Tage später nach mit einem von der Schriftstellerin Monika Maron gemeinsam mit dem Sprachkritiker Wolf Schneider und anderen initiierten Aufruf, unterschrieben unter anderem von der Autorin Sibylle Lewitscharoff, die dank der Kinderwunschmedizin geborene Kinder als „kleine Monster“ bezeichnet hat. Sie alle tun, als gehe es um den Verlust des Abendlandes, das in einem Meer von Gendersternchen zu versinken drohe.
Warum gerade jetzt? Vielleicht aus einer Art Torschlusspanik heraus, weil sich nach Jahrzehnten abzeichnet, dass es bald nicht mehr darum gehen könnte, aus sicherer Herrenperspektive gönnerhaft „etwas für Frauen zu tun“, sondern dass Frauen und sexuelle Minderheiten längst selbst bestimmen – nicht zuletzt, da das Bundesverfassungsgericht kürzlich mit der „Dritten Option“ den Auftrag erteilt hat, geschlechtliche Diversität anzuerkennen.
Bislang war die germanistische Zunft meist die Letzte, gesellschaftliche Umbrüche zu kapieren und sich dazu zu verhalten – nun tun es ausgerechnet ihre konservativsten Kräfte, die nicht ertragen können, dass neue Teilhabe auch bedeutet, dass die bisherige Deutungsmehrheit Privilegien verliert.
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Einerseits könnte man es bei dieser Erkenntnis bewenden lassen und die Aufrufe als Problem vornehmlich alter Menschen nehmen (Maron, Krauss und Krämer sind vor 1950 geboren, Schneider ist Jahrgang 1925), denen es immer schwerer fällt, Gewohnheiten zu ändern. Doch es geht um mehr. Unsere Welt wird durch Sprache gemacht und durch sie verändert. Nur wer sprachlich anwesend ist, hat eine Stimme. Wer keine Stimme hat, bleibt ohne Teilhabe.
Mit Literatur die Sprache umgestalten
Wir stehen daher vor dem größten Umbruch seit Luthers Bibelübersetzung. Für die Etablierung gendergerechter Sprache braucht es Vorschläge schreibender Menschen, die diese kreative Chance – das Gendersternchen ist ja nur eine Möglichkeit von vielen – begreifen. Sie haben die Macht, und sie stehen in der Verantwortung, mit ihrer Literatur die Sprache umzugestalten. An zeitgenössischer Literatur kommt schließlich auch eine reaktionäre Sprach- und Literaturrezeption nicht vorbei.
Bürokratisch genaue Sprache hat Vorzüge. Doch schön wie auch kulturell wirksam wird sie erst durch Dichtung, wie in der Genese einer deutschen Literatursprache aus dem Kanzleideutsch im sprachgeschichtlich atemberaubend kurzen Zeitraum zwischen 1670 und 1770 nachzulesen ist. Damals entstand die Sprache Wielands, Goethes und Schillers, die wir im Prinzip bis heute schreiben.
ist Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Bayreuth. Zu ihren Schwerpunkten gehören Literatur des 18. Jahrhunderts, Gender und Kritische Kanonforschung.
Diese Sprache ist durch ihre Protagonisten eine der männlichen Stimme. An ihr verzweifelten jahrzehntelang Frauen in der Literatur – Autorinnen wie Irmgard Keun oder Ingeborg Bachmann, die in „Malina“ versuchte, für weibliche Wahrnehmung eine weibliche Stimme zu finden. Wie sollte da angesichts dieses über Jahrhunderte gewachsenen Ungleichgewichts geschlechtergerechte Sprache über Nacht oder mit nur einer Maßnahme erreicht werden?
Um die Zukunft der Sprache zu entwerfen, ist es zunächst wichtig, das Fundament der aktuellen Angriffe zu verstehen. Denn auch diese gründen auf Literatur.
Verrat des „Deutschen“
Antigenderismus kommt nie allein, sondern sprießt mit Nationalismus und Antisemitismus aus gemeinsamer Wurzel. Für diese Erkenntnis brauchte es Pegida und die AfD nicht. Ein solches Gedankengut war in Deutschland immer da: Nach dem Fall der Mauer in Gesamtdeutschland, vor dem Fall der Mauer in Ost und West, nach 1945, vor 1933. Nach 1871, vor 1871, nach 1848 und vor 1848; gravierend ab 1819, spätestens ab 1772.
Just die Rechte hatte dabei stets ein besonderes Vertrauen in die Wirkungsmacht der Literatur. Als Bezugstexte fallen immer wieder dieselben Namen: Botho Strauß und Ernst Jünger, Adalbert Stifter, mitunter der Mussoliniverehrer Rilke und das Arsenal der nationalromantischen Dichter.
Verrat des „Deutschen“ warfen bereits die Mitglieder des Göttinger-Hain-Bundes Christoph Martin Wieland vor. Sein „vaterlandsloser“ Internationalismus (der Begriff der „Weltliteratur“ stammt ursprünglich von Wieland), seine Frankophilie und seine sexuell aktiven Frauenfiguren führten 1772 zu einer der ersten politisch motivierten Bücherverbrennungen der deutschen Geschichte. Denn Wielands Figuren Lais („Aristipp und einige seiner Zeitgenossen“) und Danae („Geschichte des Agathon“) sind Hetären, gebildete und unabhängige Edelprostituierte der Antike und zugleich Schöne Seelen.
Wenngleich in der Sprache eines männlichen Erzählers, sind sie doch eigenständig handelnde Subjekte – solange sie sich nicht in einen Mann verlieben. Für Naturschwärmerei und ein eher diffus verstandenes Germanentum standen Klopstock und der radikale Misogyn Jean-Jacques Rousseau. Mit ihm zogen Sturm und Drang – von der internationalen Germanistik zur Frühromantik gezählt – und Romantik andere Saiten auf. Frauen werden zu auf den Mann hin erzogen Objekten (Émile), deren Bestimmung entweder der Liebestod (vorzugsweise nach Verführung, Vergewaltigung und Kindsmord) oder die Rolle als Hausfrau und Mutter ist.
Verbindung zur Antike
Botho Strauß, ein zeitgenössischer Autor, nennt „Rechts zu sein […] von ganzem Wesen […] einen anderen Akt der Auflehnung: gegen die Totalherrschaft der Gegenwart“. Er „bedarf keiner Utopie, sondern sucht den Wiederanschluß an die lange Zeit“, die „ihrem Wesen nach Tiefenerinnerung“ sei. Er zitiert dazu die „Vergangenheit, die nie war und welche die einzige Zukunft ist, die ich ersehne“ des Frauenfeinds, Antisemiten und Vertreters eines nationalexpansiven Christentums, Paul de Lagarde. Lagarde propagierte die „Reinheit“ der „Volkstumsrechte“, die Auflösung des Vielvölkerstaates Österreich und ein Großdeutschland, das nur christliche Volksdeutsche umfassen sollte. Heute heißt das „Ethnopluralismus“ und ist ein Kampfbegriff der Rechten.
Faschistische ist immer auch patriarchale Ästhetik. Die Linke appelliert an den Verstand, die Rechte an den Bauch und das, was unmittelbar darunterliegt. Daher kommt die Klage über gendergerechte Sprache als „besonders elende, öde, schlimme, überflüssige Abwegigkeit“ – so Heinz Strunk, der 2016 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, im Spiegel –, die den Poeten zu kastrieren trachte.
Es ist ein hartnäckiges Heldenbild, dessen Verbindung zur Antike Christa Wolf in „Kassandra“ als Gründungsmythos des Patriarchats durch den Krieg in den homerischen Epen ausmacht, deren Poetik die Literatur bis heute bestimmt. Krieg und Patriarchat zerstören dort eine trojanische Gesellschaft, die neben zahlreichen Makeln den Vorzug einer Gleichberechtigung der Geschlechter aufweist. Anders als bei rechten Autoren ist der Mythos hier kein Fixpunkt der Vergangenheit mit Vorbildcharakter für die Gegenwart. Er steht für die heutige und künftige Aufgabe, das „nie Geschriebene“ zu formulieren: die Utopie einer geschlechtlich egalitären Gesellschaft.
Vorbild für „Kassandra“ war Ingeborg Bachmanns Frankfurter Poetik-Vorlesung mit dem bezeichnenden Titel „Literatur als Utopie“ und einer vornehmlich von Musil her entwickelten Apotheose der Liebe, aus der neue Formen der Geschlechterordnung hervorgehen könnten, als die auch ihr Roman „Malina“ lesbar ist. Als „einzige[n] Hoffnung“, dass die Literatur eine ganzheitliche Individualität bewirken könne, in der „höchste Emotion“ und „höchste Vernunft“ endlich zueinanderfinden. Zu einem aufklärerischen Pathos als „Nachahmung“ einer „erahnten Sprache“, „die noch nie regiert hat“.
Das Omni in der Sprache
Diese gilt es nun gegen das reaktionäre Denken zu finden. Denn gendergerechte Sprache gehört nicht nur zu den Voraussetzungen für eine weibliche literarische Stimme. Sie steht für das Ziel einer zukunftsoptimistischen Gesellschaft.
Wie könnten wir in Zukunft sprechen und schreiben? Sprache an sich neigt sich allen Geschlechtern zu, ist omnigender und omnisexuell, ein Begriff, der alle biologisch beschreibbaren und individuell empfindbaren Geschlechter zusammenfasst. „Omni“ ist synonym mit einem „Wir“, aus dem niemand mehr ausgeschlossen werden kann. Aber für das Omni in der Sprache gibt es viele Gestaltungmöglichkeiten – und sie werden sowohl sprachlich-grammatikalischer als auch inhaltlicher Natur sein müssen.
Eine so einfache wie wirkungsvolle Strategie könnte sein, möglichst konkret statt verallgemeinernd zu schreiben. In literarischen Texten kann die „Du-Form“ nicht nur „man“, sondern auch Distanz auflösen. Doch was ist mit Begriffen wie „Bürger“ und in sich widersprüchlichen Komposita wie „Bürgermeisterin“? Das hängt davon ab, was für den Text an dieser Stelle wichtiger ist: ein alternativer, gerechter Begriff – oder der alte, der die jahrhundertelange bürgerliche Emanzipationsbewegung transportiert. Egal wie die Entscheidung ausfällt, der „Bürger“ als Einzelnes in einem gendergerecht formulierten Text transportiert unweigerlich, dass Frauen von den an ihn gekoppelten Rechten über die meiste Zeit der Begriffsgeschichte ausgeschlossen waren. Vielleicht sind es künftig gerade diese Findlinge, die unsere Sprache hellhörig für ihre eigene Ausgrenzungsgeschichte machen?
In diesem Sinne: Mögen die Sprachspiele beginnen – und die besten Vorschläge gewinnen, mit welchen in vielleicht einer literarischen Generation feststeht, wie omni die unendlich vielen Möglichkeiten geschlechtlicher, sexueller und emotionaler Lebensformen sprachlich formulieren wird. Eine Poesie der gerechten Sprache wird jedenfalls radikale, spielerische, lustvolle, anarchische Texte produzieren, die polemisch und poetisch dem generativen Maskulinum beizukommen streben – um hoffentlich einmal als zweite literarische Moderne in die Literaturgeschichte einzugehen.
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