Essay Jamaika-Sondierungen und Klima: Wir brauchen die echte schwarze Null
FDP, Union und viele Medien tun so, als sei Klimapolitik ein grünes Partikularinteresse. Das ist falsch. Klimaschutz ist eine Aufgabe für alle.
H öher, schneller, weiter – nach diesem olympischen Motto könnte sich bis 2100 weltweit der Meeresspiegel um zwei oder sogar drei Meter heben, warnten drei neue wissenschaftliche Studien in der letzten Woche. Und zwar an demselben Tag, als die potenzielle Jamaika-Koalition in Berlin beschloss, zu den Klimazielen einer neuer Regierung besser erst mal nichts zu beschließen. Das zeigt das ganze Elend der aktuellen deutschen Klimadebatte.
Am Montag beginnt in Bonn mit großem Brimborium und 117 Millionen Euro deutschem Steuergeld die nächste UN-Klimakonferenz. Gleichzeitig bröckeln beim selbsternannten „Vorreiter im Klimaschutz“ unter „Klimakanzlerin“ Angela Merkel die deutschen Klimaziele und der politische Konsens in dieser Frage. Das hat mit den Rechtspopulisten von Gauland bis Trump zu tun, die fröhlich die Grundrechenarten als Fake News abtun, wenn ihnen die Ergebnisse nicht passen. Aber es liegt auch an einer Mutlosigkeit der Regierung Merkel, mit ernsthaften Maßnahmen endlich Klarheit für Investoren, Beschäftigte und Steuerzahler zu schaffen.
Es ist kein Zufall, dass die Konferenz in Bonn stattfindet. Deutschland hat mit viel diplomatischem Einsatz und noch mehr Geld die Ansiedlung des UN-Klimasekretariats am Rhein erreicht. Der deutsche Einsatz für Klimaschutz und weltweite Energiewende ist groß und wird überall gebührend gelobt: Merkels Durchbruch auf dem G7-Treffen in Elmau, der das Pariser Abkommen vorbereitete; Milliardenhilfen für Klimaschutz in armen Ländern; die globale Solarrevolution, die Deutschlands Subventionen angeschoben haben. Und die deutsche Energiewende zeichnet vor, wie eine Abkehr von Kohle, Öl und Gas aussehen könnte.
Könnte. Wäre da nicht das „Energiewende-Paradox“: Jedes Jahr zahlen wir 25 Milliarden Euro für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber obwohl inzwischen ein Drittel des Stroms aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse kommt, sinken unsere CO2-Emissionen kaum, weil die Braunkohlekraftwerke kräftig weiterrauchen. Diesen Widerspruch nutzt inzwischen genüsslich die US-Regierung unter Donald Trump als Argument gegen eine weltweite Energiewende.
Es gibt noch ein weiteres Paradox: Weil wir glauben, dass wir Klimavorreiter sind, passiert so wenig bei uns. Das Thema Klimaschutz wird zwar in allen Umfragen als wichtig erkannt, in der Prioritätenliste der Politik ist es immer weiter nach hinten gerutscht. Alle ruhen sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus – und sind beruhigt, denn „wir haben ja Paris“. Dort aber ist nur beschlossen worden, dass wir das Problem angehen wollen – was nicht heißt, dass wirklich etwas passiert. Es ist, als würde man sich gleich nach dem Start eines Marathonlaufs selbstzufrieden unter die Dusche stellen, weil ja alles erreicht ist.
Zynische Logik
Tatsächlich gibt es ein paar echte Skandale in der deutschen Klimapolitik. Bei den Jamaika-Verhandlungen etwa tun FDP, Union und viele Medien so, als handele es sich beim Klimaschutz um ein grünes Partikularinteresse. Die zynische Logik heißt: Wollen die Ökos beim Klima etwas durchsetzen, müssen sie dafür ihr politisches Kapital einsetzen. Das ist falsch: Klimaschutz ist eine Aufgabe für alle. Der Bundestag hat dieses Ziel deshalb seit 1987 einmütig unterstützt. Und die aktuellen Klimaziele der Bundesregierung wurden nicht etwa von einem grünen Kanzler erlassen – sondern von den Regierungen Merkel.
Um die Blockaden in der deutschen Klimapolitik zu lösen, ist jetzt vor allem das Parlament gefragt. Wir brauchen endlich ein Klimaschutzgesetz, das die Ziele und die Wege dahin festschreibt und sie nicht zum Spielball wechselnder Mehrheiten und Konjunkturen macht.
Der Eiertanz um die von der Industrie abgeschossene „Klimaabgabe“ von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und den mühsam zusammengestoppelten „Klimaschutzplan“ von Umweltministerin Barbara Hendricks zeigt, wie es nicht geht. Die Volksvertreter müssen selbstbewusst und am besten im Konsens festlegen, wie Deutschland seinen Weg zum Ende des Einsatzes fossiler Energieträger geht.
Wichtig dabei: Die echte schwarze Null. Spätestens 2050, am besten deutlich früher, darf Deutschland kein menschengemachtes Kohlendioxid mehr emittieren. Bisher sehen die offiziellen Planungen vor, 2050 immer noch 5 bis 15 Prozent des CO2-Ausstoßes von 1990 zu erlauben. Das hat dazu geführt, dass alle, die ihre Emissionen nicht reduzieren wollen, dieses letzte Schlupfloch für sich reklamieren. Verkehr, Braunkohle, Landwirtschaft, Industrie: Alle begründen ihre mangelnde Bereitschaft zu ernsthaften Schritten damit, es sei ja noch Platz für ein paar Emissionen.
Eine stringente Klimapolitik zu entwerfen ist machbar. Relativ einfach ist zu errechnen, wie viel Kohlenstoffbudget Deutschland noch zusteht, wenn die weltweiten CO2-Emissionen „in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf Null gehen sollen“, wie wir uns im Pariser Abkommen vorgenommen haben. Da lassen sich die Zwischenstationen für 2020, 2030 und 2040 leicht ziehen.
Mindestpreis von 30 Euro pro Tonne CO2
Genau so hat es Großbritannien gemacht, mit einem Climate Change Act von 2008 und einer unabhängigen Climate Change Commission, die Regierung und Parlament regelmäßig die Leviten liest. Der Erfolg? Großbritannien ist deutlich weiter beim Abschied von Kohle und Öl als wir angeblichen Klimastreber.
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Der Meeresspiegel
Der neue Bundestag muss auch endlich die absurden umweltschädlichen Subventionen von jährlich 58 Milliarden Euro abbauen. Steuergeld für Klimakiller und Umweltzerstörer wie den Diesel, Kerosin oder die industrielle Landwirtschaft auszugeben bedeutet, öffentliches Vermögen zu veruntreuen.
Schwieriger, aber fast noch wichtiger ist die Einführung eines Mindestpreises für CO2. Wer sich wie die FDP dagegen sträubt und auf den Europäischen Emissionshandel verweist, der hat den Anschluss an die Debatte verloren. Denn schon in den nächsten Wochen wird sich die EU auf den Kompromiss zum Emissionshandel einigen, der diese Debatten bis 2030 beendet.
Als logische Folge daraus muss Deutschland zusammen mit Frankreich und skandinavischen Staaten einen Mindestpreis von etwa 30 Euro pro Tonne CO2 einführen. Das macht endlich den Klimaschmutz zum Kostenfaktor in den Bilanzen von Unternehmen, Banken und Analysten. Wie die Industrie dann am besten das Klimagift vermeidet, das entscheidet dann – hergehört, FDP! – der Markt.
Dringend muss sich das Parlament einem Ausstieg aus der Braunkohle widmen. Dabei dürfen die Beschäftigten nicht ins Leere fallen und den betroffenen Regionen (vor allem der Lausitz) muss mit Geld, Infrastruktur und guten Ideen wieder auf die Beine geholfen werden. Brauchbare Vorschläge dazu gibt es, zum Beispiel von dem Thinktank Agora Energiewende.
Deutschland ist Vorbild
Der Bundestag muss in die Entscheidungen der zuständigen Kommission eingebunden sein. Es gilt: Wir Deutsche können Ausstieg. Wir haben ihn beim Steinkohlebergbau und beim Atom hinbekommen, wir werden auch das viel kleinere Problem der Braunkohle lösen. Der Rest der Welt schaut neugierig darauf, was sich das reiche Deutschland hier einfallen lässt. Denn wer in China, Russland oder Indien Kohlegruben schließen und Kraftwerke vom Netz nehmen muss, der sucht nach Vorbildern, wie solche Verwerfungen halbwegs akzeptabel zu managen sind.
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Damit nicht genug. Denn ein echter Umstieg auf Ökostrom wird dazu führen, dass viel mehr grüne Elektrizität gebraucht wird. Die Ausbauziele für die Erneuerbaren müssen also radikal nach oben korrigiert werden, wenn demnächst auch Autos, Heizungen und Industrieprozesse „dekarbonisiert“ werden sollen, also ohne Kohle, Öl und Gas auskommen müssen. Das heißt: eine weitere Reform des EEG, des Netzausbaus, der Förderung von Speichern und endlich mal eine ernst gemeinte und umgesetzte Strategie zum Energiesparen.
Und damit die bitteren Pillen gerecht verteilt werden, müssen sich Klimaschützer in Behörden, Parlamenten und Umweltverbänden damit anfreunden, dass über die Abscheidung und Einlagerung von CO2 aus Biomasse (dem sogenannten BECS) ernsthaft und mit Nachdruck geforscht werden muss. Die Temperaturziele von Paris, „deutlich unter zwei Grad und mit Blick auf 1,5 Grad“ gehen sonst sofort in Rauch auf. So viel Ehrlichkeit muss auch die Umweltbewegung aufbringen.
Die Entscheidungen kann nicht die Bürokratie treffen. Diese Debatten muss das Parlament führen. Dabei werden die Fetzen fliegen, denn zum ersten Mal sitzt mit der AfD eine Fraktion im Parlament, die den Klimawandel nicht für eine naturwissenschaftliche Tatsache, sondern für linke Spinnerei hält. Die anderen Fraktionen sollten die Gelegenheit zu einer solchen Konfrontation mit den Populisten begrüßen. Im Plenum können sie zeigen, dass das Denken von vorgestern die Probleme von heute nicht löst, sondern ignoriert.
Zugegeben, da wartet eine Menge Arbeit. Aber wenn die Abgeordneten wissen wollen, warum gerade der 19. Deutsche Bundestag diese Entscheidungen treffen muss, sollten sie den Klimawissenschaftler ihres Vertrauens fragen. Der wird ihnen vorrechnen, dass Handeln lange überfällig ist. Denn ob die Welt den Klimawandel eindämmt, entscheidet sich in dieser Legislaturperiode. Wenn nicht in den nächsten vier Jahren in den wichtigsten Industrieländern die Trendwende zu mehr Klimaschutz kommt, werden überall die Schäden durch Stürme, Dürren und Überschwemmungen weiter zunehmen. Das kann den Parlamentariern nicht egal sein. Bedroht ist schließlich Deutschland genau so wie Jamaika.
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