Erzählungen von Jonas Eika: Verbrannte Haut im Shockdown
Jonas Eika schreibt Erzählungen, dass man denkt: What the fuck?! In „Nach der Sonne“ löst er kapitalismuskritisch Subjektgrenzen auf.
Man kennt dieses Gefühl, wenn einem nicht mehr klar ist, nach der Sonne: Ist das noch Sonnenbrand oder schon Sonnenstich? Vielleicht liegt man zudem auf einer Strandliege unter dem Parasol, und ein Beach Boy massiert einem einen Muskel, von dem man bis eben nicht wusste, dass man ihn überhaupt hatte.
Man selbst erblickt die Welt nur noch trüb gespiegelt durch ein Stück Alufolie, das dahinflattert über den Sand und auf dem noch ein paar Tropfen Flüssigheroin lauern, das jemand nicht ganz weggeraucht hat. So oder ähnlich fühlt es sich an, Jonas Eika zu lesen. Jedenfalls seinen Storyband „Nach der Sonne“. (Ein Roman, sein eigentliches Debüt, ist bisher nicht ins Deutsche übertragen.)
Der junge Däne Jonas Eika, Jahrgang, 1991, schreibbeschult auf der Forfatterskolen, erzählt so, dass einem duselig werden kann. Aber nicht weil übertrieben viel passieren würde, sondern weil das Passierende dann doch sehr unerhört ist: Ein IT-Experte geht mit einem Banker ins Bett und vertickt die Zukunft – oder hat er dadurch sogar den Krater bewirkt, durch den die Bank, die er beraten soll, gleichsam verschwunden ist?
Jonas Eika: „Nach der Sonne“. Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Hanser Berlin, Berlin 2020, 160 Seiten, 20 Euro
In einer anderen Story, die an einem Pilgerort für Ufo-Fans spielt, schlitzt sich ein älterer Mann in der Nevada-Wüste den Hals auf, um zu einem Sendemast zu mutieren. Und in „Bad Mexican Dog“, einer in zwei Teilen über den Band fragmentierten Novelle, trifft man auf besagten Beach Boy, der allerdings nicht nur Massagen und Drinks feilbietet, sondern auch Analsex mit einer Sonnenschirmstange hat – und mit Manu, der sich ein Garnelenskelett auf den Schwanz schnallt.
Aus einer anderen Erzählpersektive dagegengeschnitten ist ein Heteropaar im selben Beach-Ressort, das sich von einem Beach Boy (Ist er ein anderer? Ist er derselbe?) ablecken lässt, da er einen Hund spielt, den sie erniedrigen. Hinterher stellt sich das als Videotrickbetrug heraus.
Gespür für abwegige Settings
„What the fuck?!“, denkt man immer wieder bei der einnehmenden Eika-Lektüre. Und: „Hat er das gerade wirklich geschrieben oder hab ich zu viel Sonne abgekriegt?“ Eika hat ein Gespür für abwegige Settings und aus der Science-Fiction entliehene Geistesfunken, wie man das vielleicht von Haruki Murakami oder Clemens J. Setz kennt. Oder, stärker literaturgeschichtlich gedacht, von der Literatur E.T.A. Hoffmanns, wo das Phantastische ins Realistische hineinrattert. Aber was Eika damit anstellt, ist viel böser.
Jonas Eika löst, mitunter nahezu unbemerkt inmitten eines Satzes, die Grenzen des Subjekts in seinem Ego-Tunnel auf. Die Verfremdungseffekte in seinen homoerotisch aufgeladenen Plots entlarven die Figuren als Kaleidoskopsteinchen kapitalistischer Verwertungslogik, aber auch als organische Sinneswesen, in Symbiose mit Fauna und Flora. Der Mensch als ökologisch und ökonomisch determiniertes Wesen, das sich besser seine Freiheitsmomente zurückerobern sollte.
Unterkühlende Distanzeffekte
Jonas Eika macht es einem in seinem allemal guten, verstörenden Buch nicht einfach, denn seine Figuren sind nur unter starken Vorbehalten Sympathieträger. Doch trotz dieser unterkühlenden Distanzeffekte mit metallischem Nachgeschmack zum Trotz halten sie einen in Bann. Könnte diese crazy Shockdown-Welt, die Eika beschreibt, am Ende unsere eigene sein?
Und wie viel After-Sun (oder wie es im Band lyrisch heißt: Nachsonne) bräuchten wir dann, bis unsere verbrannte Haut wieder heil ist?
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