Erstorientierung für Geflüchtete: Zentralstellen schlagen Alarm
Erstorientierungskurse sollen Geflüchteten in Deutschland das Ankommen erleichtern. Doch das Geld ist knapp, wie der aktuelle Haushaltsentwurf zeigt.
„Die Zeit läuft uns davon“, warnen die Verantwortlichen der Zentralstellen dieser Kurse aus Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen in einem Brief an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Spätestens bei der Bereinigungssitzung am 16. November müsse der Mangel korrigiert werden.
Erstorientierungskurse sind oftmals das erste Integrationsangebot für Geflüchtete, das bei der Ankunft in Deutschland greift. Geflüchtete können ab dem ersten Tag flexibel einsteigen. Die Kurse sollen eine erste Orientierung bieten, um sich im Aufnahmeland zurechtzufinden. Eine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) beauftragte Evaluation von 2021 bestätigt: Das Konzept der Erstorientierungskurse habe sich bewährt.
Bereits für das laufende Jahr bangten die Träger jedoch um Geld. Einige standen diesen Sommer nach eigenen Angaben kurz vor dem Zusammenbruch. Im Juni erhöhte der Haushaltsausschuss die Mittel dann von 25 auf 40 Millionen Euro. Damals sagte der Linken-Abgeordnete im Haushaltsausschuss Victor Perli: „Die Hängepartie darf sich nicht wiederholen.“ Doch genau danach sieht es jetzt wieder aus.
40 Millionen Euro werden gebraucht
Für das Jahr 2024 ermittelte das Bamf in Nürnberg erneut einen Bedarf von etwa 40 Millionen Euro für die Erstorientierungskurse. Eingeplant hat das zuständige Innenministerium aber nur 25 Millionen Euro. „Für die Kommunen, die Landkreise, die Länder, vor allem aber die Geflüchteten ist es eine Katastrophe“, schreiben die Zentralstellen. Wie bereits 2023 seien auch für 2024 „viel zu geringe Mittel“ eingeplant. Der Haushaltspolitiker Victor Perli (Linke) sagte der taz, mit der Unterfinanzierung und Unsicherheit provoziere die Ampel, dass Fachkräfte das Weite suchen und dass Kurse gestoppt würden. „Die Ampel lässt vorsätzlich einen Stützpfeiler der Integrationsarbeit ausbluten!“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigt bisher wenig Gesprächsbereitschaft. Aufgrund der Schuldenbremse steht sie unter Druck, Ausgaben zu kürzen. Das geht nun auf Kosten der Angebote für Integration. Das Innenministerium schreibt auf Anfrage der taz zwar, Integration habe im Haushalt hohe Priorität. Es verweist aber auch auf die engen finanziellen Spielräume: „Übergeordnetes Ziel der Bundesregierung ist die Konsolidierung der staatlichen Finanzen.“ Daher müsse man noch stärker als bislang priorisieren. Der Haushaltsentwurf sei Gegenstand der parlamentarischen Beratung.
Auf diese Beratungen setzen die Zentralstellen. Sie verweisen dabei auch auf einen Beschluss des Bundeskanzlers und der Länder hin. Im Mai hatten sie noch erklärt, die Erstorientierungskurse ausbauen zu wollen. Man brauche eine klare Planungsperspektive, sodass nicht jedes Jahr aufs Neue gekämpft werden müsse, schreiben sie. „Wenn Integration nachhaltig sein soll, muss es die Mittelversorgung auch endlich sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau