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Erster Arbeitskampf bei Amazon nahtLeipziger Mitarbeiter wollen streiken

In Sachsen wehren sich die Angestellten des Internet-Versandkonzerns gegen dessen Lohnpolitik. Sie wollen eine Gleichstellung mit dem Flächentarif erreichen.

Amazon Deutschland agiert bislang nicht tarifgebunden und orientiert sich lediglich an der Logistikbranche, nicht aber am Versandhandel. Bild: dpa

DRESDEN taz | Das ist der weltweit als Union Buster bekannte Amazon-Versandkonzern nicht gewohnt: In seiner Leipziger Filiale mucken die Beschäftigten nicht nur auf, sie wollen den angestrebten Tarifvertrag nun auch mit einem Streik erzwingen. Wie die Gewerkschaft Ver.di am Freitag bekannt gab, stimmten bei einer Urabstimmung 97 Prozent der 540 Ver.di-Mitglieder für einen Arbeitskampf. Insgesamt sind am Standort Leipzig 1.200 Mitarbeiter unbefristet und 800 befristet beschäftigt. Sondierungsgespräche für die Aufnahme von Tarifverhandlungen waren im Februar gescheitert.

Amazon Deutschland agiert bislang nicht tarifgebunden und orientiert sich lediglich an der Logistikbranche, nicht aber am Versandhandel. Die Mitarbeiter und die Gewerkschaft möchten endlich eine Gleichstellung mit dem Flächentarif im Einzelhandel erreichen. Damit verbunden wären neben einer Lohnuntergrenze von 10,66 Euro pro Stunde auch Zuschläge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder die Bindung an Tariferhöhungen.

Gegenüber Branchenkonkurrenten wie Otto oder Neckermann gilt Amazon als Lohndrücker. Der Konzern war erst im Februar nach einem ARD-Bericht über die Arbeitsbedingungen insbesondere von Leiharbeitern öffentlich unter Druck geraten.

„Die Forderung nach einem Tarifvertrag gilt für alle deutschen Standorte“, stellt Ver.di-Fachbereichsleiter Thomas Schneider in Leipzig klar. An den Standorten Bad Hersfeld, Augsburg, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim und Koblenz arbeiten etwa 7.700 fest angestellte Mitarbeiter und zahlreiche befristete oder Saisonkräfte für Amazon.

Das nun ausgerechnet die Leipziger Kollegen streiken wollen, führt Thomas Schneider auf den hohen Anteil entfristeter Arbeitsverhältnisse an dem Standort und den guten Organisationsgrad der Mitarbeiter zurück. 2009 wurde ein Betriebsrat gebildet. Lagen zu diesem Zeitpunkt die Einstiegslöhne noch bei 7,76 Euro je Stunde und nach einem Jahr bei 8,40 Euro, stiegen sie inzwischen auf 10,57 Euro für die längerfristig Beschäftigten.

Amazon hat sich „keinen Millimeter bewegt“

„Amazon gibt nie etwas freiwillig, sondern muss dazu bewegt werden“, konstatiert Gewerkschafter Schneider. „Das ist nur eine Frage, wie hoch der Druck ist!“ Deshalb erwartet er einen Streikerfolg. Wann der Arbeitskampf beginnen soll, wird am Wochenende beraten. Ähnlich äußerte sich Ver.di-Verhandlungsführer Jörg Lauenroth-Mago. Der Arbeitgeber habe sich „keinen Millimeter bewegt“, hatte er im Februar nach den schnell gescheiterten Sondierungsgesprächen verärgert berichtet. Eine Konzernsprecherin hatte damals lediglich erklärt, man sehe „derzeit wenig Gemeinsamkeiten, um Verhandlungen aufzunehmen“. Am Freitag war in der Münchener Konzernzentrale niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP zeigt das Signal der Leipziger Streikbereitschaft bereits Auswirkungen auf andere Filialen. Auch im hessischen Bad Hersfeld droht eine Arbeitsniederlegung. „Wenn es genau so fruchtlos läuft wie in Leipzig, werden wir am Dienstag in den Warnstreik treten“, sagte Gewerkschaftssekretär Heiner Reimann.

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2 Kommentare

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  • W
    wauz

    Die Kastanien aus dem Feuer holen...

     

    Sich zusammen zu tun und sich gemeinsam für die eigenen Interessen einzusetzen, ist eine edle und richtige Sache. Eine alte Einsicht der Arbeiterbewegung. Streik als Mittel gehört in Fragen der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung selbstverständlich dazu. So ein Tarifvertrag beruhigt auch die Gemüter und ist so oft meist im Interesse der "Arbeitgeber".

    Aber: in Deutschland darf man nicht streiken. Es sei denn, eine Gewerkschaft ruft zum Streik auf. Das heißt: man muss erst eine Gewerkschaft haben. Das führt zu einer Art Monopolstellung einiger weniger Verbände in Sachen Arbeitskampf, namentlich des DGB und seiner Teilgewerkschaften.

    Und das nutzt der DGB und in diesem Falle: ver.di, reichlich aus.

    Wenn die Beschäftigten bei Amazon tatsächlich die Einbindung in das Tarifsystem des DGB erreichen, bedeutet das vor Allem eines: gut die Hälfte der Beschäftigten bei Amazon sind von diesem "Flächentarifvertrag" ausgeschlossen, weil sie einem anderen, vom DGB gesteuerten Tarifsystem unterliegen, den Zeitarbeitstarifen.

    Wenn also dieser Streik "erfolgreich" ist, zementiert er die Spaltung der Belegschaft. Das ist sicher im Interesse des DGB und ver.di, die sich ja etwas überlegt haben, als sie dieses doppelte System installierten, aber keinesfalls im Interesse der Gesamtbelegschaft bei Amazon. Die Amazon-Arbeiter sollten sich gut überlegen, für was sie sich einsetzen.

    In ihrem eigenen Interese wären sie weit besser beraten, sie würden eine Amazon-Gewerkschaft gründen, bei der die Zeitarbeiter tatsächlich ernsthaft Mitglied werden können und sich dann für einen Haustarifvertrag einsetzen, der als Minimum Equal Pay beinhaltet. Alles andere ist, auf gut Deutsch gesagt, für den Arsch!

    Interessanterweise behauptet ja gerade die Gewerkschaftsverhinderungs-Gewerkschaft ver.di, sie würde die Interessen der Zeitarbeiter vertreten. Dieser Fall zeigt wieder einmal, dass das kein bisschen stimmt. Abgeschoben im Ferner-liefen-Fachbereich 13, bekommen an Gewerkschaftsarbeit interessierte Zeitarbeiter (für den Fall, dass sie lästig genug werden) eine Einladung zu einer "Fachkonferenz". Da gibt es dann ein nettes menü im Gasthaus, wer mag, darf auch eine zweite Maß auf Staatskosten trinken. Auf Staatskosten deshalb, weil parallel zur Fachkonferenz auch noch eine bezuschusste Fortbildung stattfindet, bei der jeder Fachkonferenz-Besucher auch teilnimmt und für die Teilnahme unterschreibt.

    Am Ende ist es für ver.di ein Nullsummenspiel: der Irre, der Gewerkschaftsarbeit machen möchte, ist abgefüttert, der Staats hat's bezahlt und passiert ist: nix.

    So mögen wir das als Gewerkschaftssekretär.

  • D
    Dachs

    Sehr gut!

    Viel Erfolg!