Erschütternde Polizeigewalt: Gewaltmonopol geht nur mit Gewalt
Viele Menschen sind schockiert, wenn sie die Staatsgewalt zum ersten Mal selbst erfahren. Dabei macht die Polizei oft nur genau das, wofür sie da ist.
E rinnern Sie sich an die Wut, die in Ihnen aufsteigt? An das Gefühl von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein gegenüber dem Staat, wenn Sie mit dem Fahrrad in eine Lichtkontrolle geraten? Das Gefühl, wenn es klopft, weil Sie zu laut gefeiert haben, oder wenn der Brief vom Finanzamt eintrudelt, der eine Nachzahlung verlangt? Oder wenn Sie mal wieder auf dem Weg von der Arbeit als einzige aus einer Menschenmenge herausgepickt und durchsucht werden? Letzteres kennen Sie vermutlich nur, wenn Sie keine Kartoffel sind.
Obwohl nicht üblich verdächtig, hatte Julian Reichelt vor ein paar Tagen Ärger mit der Polizei. Der Spiegel berichtete über seinen erzwungenen Besuch auf einer Polizeiwache, weil der geschasste Bild-Chefredakteur zu seinem Onlineticket in der Bahn keinen der anerkannten Identitätsnachweise vorlegen konnte. Reichelt stellt es etwas anders dar, sei aus Bremen gekommen und nicht aus München, bekundete auf Twitter noch seine Liebe zur Antiterroreinheit GSG9, etwas kontextlos, weil in seinem Fall zum Glück ja gar nicht nötig.
Dass er aber überhaupt belästigt wurde, das regte ihn schon auf: „Angesichts zahlreicher Klaubanden in und direkt vor dem Bahnhof und unzähliger Menschen, die ohne Papiere bei uns ankommen, frage ich mich, ob vollzahlende Erste-Klasse-Kunden wirklich die höchste polizeitaktische Priorität haben sollten“, schrieb Reichelt.
Gewalterfahrung als Klassenfrage
Die Erfahrung mit der Staatsmacht, die Realisierung von Herrschaft, fällt unterschiedlich aus, je nachdem ob Sie reich oder arm sind, zur Mehrheitsgesellschaft gehören oder nicht. Offiziell sollte das nicht so sein, praktisch ist es wahr. Für Julian Reichelt ging es glimpflich aus. Wer keinen Aufenthaltstitel hat oder die Strafe für Schwarzfahren nicht bezahlen kann, den könnte die gleiche Situation über den Rand des sozialen Abgrunds ziehen.
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Gerade in den letzten Jahren mehrten sich Begegnung mit der Polizei für Menschen, die darin bis dato keine Erfahrung hatten: Auf Querdenker-Demos reagierten die wütenden BürgerInnen besonders entrückt, wenn die Beamten Ihnen mal Grenzen setzten. Viele kannten das einfach nicht.
Ich selbst bin mit Gewalt der Polizei von linken Demonstrationen vertraut. Sie überrascht mich nicht mehr, wenn ich Videos von Festnahmen sehe oder Bilder von knüppelschwingenden Uniformierten beim Einsatz gegen den Klimaprotest in Lützerath. Spontane Empörung steigt dann auch in mir auf. Gleichwohl bewerte ich das Verhalten meist als legal. Dass PolizistInnen für den Staat kontrollieren, regeln, schlagen und verletzen, ist nicht nur alltäglich: Es ist ihr Job. Eine Verharmlosung? Im Gegenteil. Nicht nur illegale Ausschläge im Polizeialltag – rassistische Kontrollen oder ungerechtfertigte Brutalität – müssen wir kritisieren, sondern die Beschaffenheit der Institution an sich.
Doch: Warum sind so viele Menschen von legaler Gewalt überrascht, wenn sie ihnen erstmals begegnet?
Anruf beim Experten
Anruf bei Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht in Frankfurt. Gewalt, so erklärt er, werde in unserer Gesellschaft zunehmend geächtet. „Umso erstaunter sind Menschen, wenn sie sie sehen und ihr undifferenziert positives Bild von der Polizei erschüttert wird.“ Ob nun unrechtmäßig oder juristisch in Ordnung: „Polizei ist auf Legitimität angewiesen und darauf, dass sie in der Gesellschaft anerkannt wird.“
Wenn ihre Gewaltausübung heute nicht mehr so akzeptiert wird, bedürfe es einer Anpassung. Gesellschaftsbilder gerieten partiell ins Wanken, „wenn die Leute mit den Widersprüchen zwischen ihrer Sicht auf die Polizei und den erlebten Erfahrungen konfrontiert sind“.
Außer, man ist eben ein autoritärer Charakter und kanalisiert seine Wut weiterhin nicht nach oben, sondern schimpft auf die Bahn, die Schaffnerin oder auf Flüchtlinge.
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