Erschöpfung der Großen Koaltion: Vernunftehe mit Ende in Sicht

Für die Große Koalition heißt es jetzt durchhalten. Noch ein Jahr bis zu den Bundestagswahlen, dann können Union und SPD wieder getrennte Wege gehen.

Söder, Kramp-Karrenbauer, Walter-Borjans und Esken stehen vor Mikrofonen

Abschluss des Koalitionsgipfels Ende August Foto: Christian Thiel/imago

An diesem Wochenende endet die sitzungsfreie Zeit des Bundestags. Die Abgeordneten kehren aus ihrer Sommerpause zurück. In den zurückliegenden Tagen waren sie schon auf den Klausuren ihrer jeweiligen Fraktionen aufgetaucht und hatten fleißig Papiere beschlossen. CDU und CSU haben „Lust auf Zukunft“, die SPD erklärt die Autobranche zur „Leitindustrie“ – es fühlt sich fast an wie Normalbetrieb bei der Großen Koalition. Doch das ist es nicht. Tatsächlich läuft es so gut wie nicht mehr bei Schwarz-Rot.

Nach zweieinhalb gemeinsamen Jahren sind Union und SozialdemokratInnen durch die Coronakrise an den Punkt der Erschöpfung gelangt. Das Ganze ähnelt mittlerweile einer Vernunftehe: Man ist einander überdrüssig, bleibt aber noch beisammen, um den Landeskindern unnötigen Kummer zu ersparen. Dabei wäre es gerade während der globalen Coronapandemie wichtig, eine einfallsreiche und gut eingespielte Regierung zu haben. Stattdessen herrscht Überdruss.

Mit dem Start des Sitzungsbetriebs in der kommenden Woche beginnt nun endlich das Trennungsjahr der Großen Koalition. Noch zwölf Monate bis zur Bundestagswahl, die es einigermaßen gesittet durchzustehen gilt. Man erträgt einander, hält schon mal diskret nach was Neuem Ausschau und haut derweil noch ein bisschen was vom gemeinsamen Geld raus, um Wählerstimmen zu generieren:

Kurzarbeitergeld bis Ende 2021, Laptops für LehrerInnen, zusätzlich bezahlte Krankentage und Kinderkrankengeld für Familien – das sind die Ergebnisse des Koalitionsgipfels in der vorletzten Woche. Nach neun Stunden zäher Verhandlungen standen Annegret Kramp-Karrenbauer, Markus Söder sowie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf den Stufen im Kanzleramt und verkündeten ihre Ergebnisse. Die Sozialleistungen hätten beinahe das Nichtergebnis beim Riesenthema Wahlrecht überstrahlt.

Die Groko wirkt wie eine Vernunftehe: Man ist einander überdrüssig, bleibt aber zusammen, um den Kindern keinen Kummer zu machen

Sieben Jahre hatte die Große Koalition Zeit gehabt, um zu verhindern, dass das Parlament noch größer und noch teurer wird. Aber auch diesmal hat es – leider, leider – nicht geklappt. Stattdessen Arbeitskreis und Wiedervorlage. Das Thema Wahlrecht wird den VertreterInnen dieser Bundesregierung noch mächtig auf die Füße fallen. PolitikerInnen, die kostenintensiv für ihr eigenes berufliches Fortkommen sorgen und von den WählerInnen Genügsamkeit einfordern, schaden der Demokratie.

Seit Vizekanzler Olaf Scholz von seiner Partei zum Spitzenkandidaten gekürt wurde, fällt zusätzlich das Stimmungsbarometer bei der Union. Bei der CDU wird man sich entscheiden müssen, wer von den drei kandidierenden Männern die Partei künftig führt, ohne dass man als Streithansel-Partei dasteht. Und bald danach wird sich CSU-Chef Söder erklären müssen, ob er nicht doch ins Kanzleramt will. Schlau ist, wer sich jetzt nicht allzu egoman geriert.

In den Familienbetrieben und in der Kreativwirtschaft, in den Pflegeeinrichtungen und den künstlerischen Spielstätten schlägt die Coronakrise bereits erkennbar zu – die Zeiten für ausufernde Selbstdarstellung sind aktuell nicht die besten. Am 25. Juni 2021 soll planmäßig die letzte Sitzung des 19. Deutschen Bundestags stattfinden. Die Zeit bis dahin wird politisch und gesellschaftlich herausfordernd.

Nach den personell hochbrisanten Parteitagen Ende 2020 müssen bis zum Sommer vier von sechs anstehenden Landtagswahlen bestritten werden. Die Bundesrepublik steht außen- und sicherheitspolitisch vor schwierigen Entscheidungen. Und trotz – oder gerade wegen – der Coronakrise muss der ökologische Umbau weitergehen. Es sind unsichere Zeiten, in die das Land geht.

Dass es derweil geführt wird von einer Großen Koalition, deren VertreterInnen sowohl kooperieren als auch an ihrem parteipolitischen Profil schrauben müssen, macht die Lage des Landes nicht einfacher. Aber vielleicht läuft es ja doch wie in einer Vernunftehe: Wenn das Ende in Sicht ist, muss man einander nicht mehr bekämpfen.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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