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Eröffnung Ingeborg-Bachmann-PreisKeine neue Welt ohne neue Sprache

Die Eröffnung der Tage der deutschsprachigen Literatur stand unter dem Stern von Kosteneinsparungen. Nava Ebrahimi verzeichnete Sprachlosigkeit angesichts von Krisen.

Hielt die diesjährige Klagenfurter Rede zur Literatur: Nava Ebrahimi Foto: Johannes Puch

Berlin taz | „Das gibts doch gar nicht, dieses Klagenfurt, das gibt's doch nur im Fernsehen!“, rief Rainald Goetz aus, der berühmteste Nicht-Gewinner des Bachmannpreises 1983, bevor er sich mit einer Rasierklinge die Stirn – Sie kennen die Geschichte.

Man kann Goetz’ schönen Satz als Koketterie eines jungen Autoren abtun, doch im Lichte jüngster Klagenfurter Finanzierungsdebatten wirkt er beinahe wieder prophetisch. Denn seit Jahren gehört es zur Tradition, zu Beginn der Tage der deutschsprachigen Literatur ihr drohendes Ende auszurufen. Selten geht es im Vorlauf um die ausgewählte Literatur oder ihre Autor:innen, sondern vielmehr um die Zukunft des Wettlesens am Wörthersee selbst. In der Vergangenheit ließ vor allem der ORF an seiner Überzeugung zweifeln, den Bewerb auch weiterhin im bekannten Format zu ermöglichen.

Lauscht man den Eröffnungsreden der 49. Ausgabe im wohl-temperierten Landesstudio des ORF Kärnten, erhält man allerdings nicht den Eindruck, dass irgendjemand ein Interesse daran hätte, das Wettlesen abzuschreiben. Würdenträger und Sponsoren betonen am Mittwochabend unisono die Wichtigkeit des Bewerbs, mal für Image und Prestige von Stadt und Land, mal für die pluralistische Gesellschaft und die Demokratie als Ganzes.

FPÖ an vorderster Front postmoderner Kulturkämpfe

Christian Scheider, parteiloser Bürgermeister mit FPÖ-Vergangenheit, lässt sich sogar dazu hinreißen, die kulturelle Vielfalt des Wettbewerbs und seine Funktion als „Spiegel der Gesellschaft“ zu betonen – durchaus bemerkenswert, zeigt man sich bei der FPÖ sonst durchweg an vorderster Front postmoderner Kulturkämpfe.

Nein, zum 99. Geburtstag Ingeborg Bachmanns könnte man meinen, die Gerüchte über den Tod des in ihrem Namen ausgetragenen Wettlesens am Wörthersee seien stark übertrieben.

Bei tropischer, die Sinne vernebelnder Hitze draußen im Bachmannpark, wo auch die Lesereihenfolge der Nominierten ausgelost wurde, ernten derweil die meisten halbgaren Reden der Würdenträger und Geldgeber nur müden Applaus. Denn dass hier etwas faul ist, wird spätestens klar, als Jurypräsident Klaus Kastberger das Wort ans Publikum richtet.

Entgegen aller Beteuerungen, so Kastberger, steht auch diese Ausgabe unter dem Druck des allgemeinen Spardiktats – auch, wenn im Kulturbereich viel nicht mehr einzusparen sei, gerade im Verhältnis zu anderen Budgets.

Sparregime zeigt Wirkung

Und das Sparregime zeigt Wirkung: Der Klagenfurter Literaturkurs mit seinem Stellenwert für Nach­wuchs­au­to­r:in­nen und die freie Szene: abgeschafft. Das ehemals mit 7.000 Euro dotierte Stadtschreiberstipendium auf 3.000 Euro eingekocht und dem ebenfalls in Klagenfurt stattfinden „Carinthischen Sommer“ untergeordnet: einem Klassikfestival.

Es hat was Komisches, was von der Posse an der Regierung beteiligter, demonstrierender Politiker:innen, wenn diese plötzlich 150 Prozent Einsatz für den Erhalt des Bachmannbewerbs versprechen, nur um im nächsten Augenblick dem Vorsitzenden der als Sponsor auftretenden BKS-Bank das Wort zu erteilen. Man denkt an Brecht und die Banken und alles fügt sich im Kopf zu einem schiefen, Sinn höchstens vorgebenden Bild. Bei so viel Eintracht und kulturellem Problembewusstsein, so scheint es, wird höchstens die Frage ums Geld und wo es herkommen soll den Wettbewerb noch überleben.

Doch wer ist eigentlich Adressat und Sender dieser Reden?

„17 Stunden live – das ist der Bachmannpreis“, sagt Peter Schöber. Der Programmleiter des Senders ORF III hebt den Eventcharakter der auch als „Wettlesen“ bezeichneten Literaturveranstaltung hervor, spricht vom Bachmannpreis als „größtem Live-Event bei 3sat“, als läute er gerade das Revival der Mega-TV-Events wie des „Domino Days“ oder der „Wok WM“ ein.

Einen „kleinen Skandal“ würde er sich auch wünschen, schiebt Schöber nach. Die Selbstinszenierung der Lesenden und Ju­ro­r:in­nen gehört zum Wettbewerb wie die Kritik daran. Zum „Adabei“-Event, so sagt man wohl in Österreich, sei der Bachmannpreis verkommen, war im Vorfeld bereits zu lesen.

Lange her ist die letzte Provokation

Lustig eigentlich, dass man 41 Jahre nach Goetz' Rasierklingenaktion den Bachmannpreis immer noch mit Skandalen in Verbindung bringt. Am nächsten kam der Kategorie der Provokation zuletzt 2009 (!) Philipp Weiss, als der sein Manuskript aufaß. Mit Spannung fieberte man im letzten Jahr dem Ende der Lesung von Johanna Sebauer entgegen, die ihren Text über das „Gurkerl“ veranschaulichte, indem sie ein Gurkenglas vor sich auf den Tisch stellte. Passiert ist damit allerdings nichts.

Kann Kritik Leben zerstören? Diese Frage muss sich stellen, wer zu einem Wettbewerb wie den Tagen der deutschsprachigen Literatur anreist; als Autor wie Jurorin. Man erinnere sich an den Ausbruch Marcel Reich-Ranickis, der wusste: niemanden interessiert, „was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert“.

Karin Struck lief weinend aus dem Saal, als der Logenmeister ihren Text auch noch als „Verbrechen“ bezeichnete. Auch die Namensgeberin des Wettbewerbs, Ingeborg Bachmann, kassierte die einzige Kritik, die sie je wirklich schmerzte, von Reich-Ranicki. So erzählt es zumindest Heinz Bachmann, der bei der Eröffnung der Bachmanntage Erinnerungen an seine berühmte Schwester zum Besten gibt.

Leidvoll ging es auch in der diesjährigen Klagenfurter Rede zur Literatur zu, die die Bachmannpreis-Gewinnerin von 2021, Nava Ebrahimi, hielt. Nicht allzu überraschend angesichts all der schwelenden Weltbrände. Als nicht unbedingt originell muss man auch die Kurzschließung des Haltens einer Rede mit dem vorgetragenen Scheitern des Schreibens daran bewerten.

Doch wie anders als mit Sprachlosigkeit lässt sich „Drei Tagen im Mai“ begegnen, die Neues zum „Endzeit-Faschismus“ in den USA und zum Sterben in Gaza hochspülen, wenn im Radio an das Weltkriegsende vor 80 Jahren erinnert wird, während man selbst auf dem Weg zu einer Beerdigung ist?

Dystopisierung der Welt

„Beinah täglich bauen wir menschlich ab“, sagt Ebrahimi und beklagt, wie die Dystopisierung der Welt Einzug hält in die Sprache. Jüngere Beispiele nennt sie nicht, aber es haben sicher die meisten im Bachmannpark die Machthaber und ihre verbalen Neujustierungen dessen, was man 2025 wohl jetzt sagen darf, vor Augen.

Wenn wir alle es schafften, über den Schmerz zu reden, nur eine Stunde lang, reicht es dann, fragt sich Ebrahimi, fragt sie ihre Zuhörer:innen. Doch lässt sich die blutende Welt symptomatisch therapieren? Immerhin lautet die Diagnose nicht auf Phantomschmerz; irgendwo sitzt immer jemand, der die Pfähle spitzt und in die Welt treibt.

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