Ermittlungen nach dem Neonazi-Anschlag: Anschlag auf „Friese“ hatte für die Polizei keine Priorität
Der Bremer Senat sieht bei den Ermittlungen zum Anschlag auf das linke Jugendzentrum „Friese“ keine Fehler. Dabei lag das Verfahren monatelang brach.
Zum Brandanschlag auf das Bremer Jugendzentrum Friese bleiben auch einen Monat nach der Urteilsverkündung Fragen offen – mindestens in Bezug auf die polizeilichen Ermittlungen. Die Linksfraktion hatte dem Senat dazu einen Katalog von 21 Fragen gestellt. Die Antworten liegen der taz vor. Demnach bestätigt sich, dass der Aufklärung des rechtsextremen Anschlags lange Zeit keine Priorität eingeräumt wurde. Und: Gegen die Täter hätte deutlich früher ermittelt werden können.
Am 22. Mai hatte das Landgericht Bremen drei Männer wegen des Anschlags auf die Friese verurteilt. Der 29-jährige Haupttäter muss wegen schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung fast fünf Jahre in Haft, die zwei Mitangeklagten bekamen Bewährungsstrafen wegen unterlassener Hilfeleistung. Alle drei waren schon lange vor dem Anschlag in die rechtsextreme Szene verstrickt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Von der Tat bis zu den Urteilen waren über fünf Jahre vergangen. In der Nacht zum 16. Februar 2020 hatte der Hauptangeklagte im Beisein der Mitangeklagten nach Überzeugung des Gerichts aus rechtsextremen Beweggründen in der obersten Etage des Jugendzentrums Feuer gelegt. Währenddessen feierten im Erdgeschoss rund 30 Menschen bei einem Konzert. Die Veranstalter bemerkten irgendwann den Rauch, der nach unten zog. Nur dadurch konnte Schlimmeres verhindert werden. An dem Haus entstand ein Schaden von rund 200.000 Euro. Mehrere Menschen erlitten Rauchvergiftungen und psychische Traumata.
Vom Fall abgezogen
Dass sich die Ermittlungen dazu so lange zogen, lag auch daran, dass die zuständige Sachbearbeiterin der Polizei im Sommer 2020 von dem Fall abgezogen wurde, wie aus der Antwort des Bremer Senats hervorgeht. Sie sei demnach in die „Soko Spielplatz“ eingebunden worden, die einen womöglich ebenfalls rechtsextremen Täter finden sollte, der auf Bremer Spielplätzen Messer anbrachte und wohl auch für den Versand von Dutzenden Pulverbriefen verantwortlich sein soll, die unter anderem bei Parteibüros eingingen.
In der Zeit sind die Ermittlungen im Fall der Friese zwar laut Senat nicht vollends eingestellt worden, aber: „Wesentliche, über die Spurenauswertung hinausgehende Maßnahmen, wurden seitens der Polizei nicht getroffen.“ Anders als im Fall der Friese arbeiteten in der Soko Spielplatz aber bereits rund zehn Ermittler*innen.
Dazu, dass die eine Hauptermittlerin vom Friese-Fall abgezogen wurde und nun ebenfalls diese Ermittlungen unterstützen sollte, erklärte der Senat: „Es erfolgte eine Prioritätensetzung, da eine akute Gefahr für Leib und Leben einer anderen Person bestand.“ Für die Aufklärung des rechten Anschlags auf die Friese galt das anscheinend nicht. Auch Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) wurde darüber informiert.
Hinweisen momatelang nicht nachgegangen
Ohne zuständige Sachbearbeiterin wurde im Fall der Friese auch frühen Hinweisen auf die Täter monatelang nicht nachgegangen. Auf die Frage, wann die nun verurteilten Angeklagten im Ermittlungsverfahren namentlich bekannt wurden, verweist der Senat auf ein anonymes Hinweisschreiben, das am 22. Oktober 2020 bei der Polizei und Staatsanwaltschaft per E-Mail einging. Auf rund zehn Seiten hatten der oder die Verfasser damals Hinweise auf zwei der Männer gegeben, die nun im Mai tatsächlich verurteilt wurden.
Laut Senat wurden die zwei Männer in dem Hinweisschreiben „erstmalig genannt“. Nach Informationen der taz waren die Namen in den Verfahren aber bereits Monate zuvor aktenkundig: Bereits einen Monat nach der Tat, im März 2020, hatten Zeugen zu Protokoll gegeben, zwei der möglichen Täter identifiziert zu haben. Wiedererkannt hatten sie deren Gesichter auf der Webseite des Medienkollektivs Recherche-Nord, das rechtsextreme Veranstaltungen dokumentiert.
Dieser Hinweis auf die Täter bereits im März 2020 ist offenbar nicht nur bei der Polizei monatelang unbearbeitet geblieben – sondern er ist auch heute dem Senat nicht mehr bekannt.
Erst im Januar 2021 wurde ein Abgleich der Telefonnummern der Verdächtigen mit Funkzellendaten aus der Nacht des Anschlags abgeschlossen, Wohnungsdurchsuchungen und Überwachungsmaßnahmen fanden dann erst Monate später, Ende September 2021, statt. „Die Voraussetzungen für eine Durchsuchung […] lagen im Frühjahr 2020 noch nicht vor, da für die Staatsanwaltschaft Bremen noch kein Anfangsverdacht gegen eine oder einen namentlich bekannten Beschuldigte gegeben war“, heißt es dazu vom Senat. Diese hätten erst im Laufe weiterer Ermittlungen im Jahr 2021 vorgelegen. Offiziell als Beschuldigte erfasst wurden die Täter erst im Juni 2021.
Fragwürdige Entscheidungen
Auch bei den Durchsuchungen selbst kam es dann zu fragwürdigen Entscheidungen. So war laut Senat der Staatsanwaltschaft Bremen zu jenem Zeitpunkt „nicht bekannt“, dass der damals Beschuldige zeitweise sehr früh zum Arbeiten den Hof verlässt. Weil er nicht angetroffen wurde, rief ihn die Hauptermittlerin auf dem Mobiltelefon an. Er traf erst 45 Minuten später ein. Durch den Anruf der Polizistin war er vorgewarnt und konnte sein Handy entsorgen. Es konnte nicht beschlagnahmt werden.
Der Senat sieht darin keinen Fehler. Er erklärte, dass es grundsätzlich möglich sei und „im Ermessen der jeweiligen Ermittlungsführung“ liege, Leute anzurufen, deren Wohnung durchsucht werden soll. Auch die sehr zurückhaltende Beschlagnahmung von Nazi-Devotionalien und Terroranleitungen benennt der Senat nicht als Fehler.
Bei der Durchsuchung bei einem der Täter im Landkreis Verden hingen Hakenkreuz-Fahnen an der Wand, im Regal stand eine Ausgabe der Schrift „Der Weg vorwärts“ des verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerkes. Das Manifest ruft dazu auf, sich in kleinen Terrorzellen zu organisieren und gegen Migrant*innen und politische Feinde vorzugehen.
Beschlagnahmt wurde dieses aber nicht. Der Senat schreibt dazu nun: „Der bloße private Besitz von Literatur oder Tonträgern verbotener Organisationen stellt […] regelmäßig keine Straftat dar.“ Gegenstände würden unter anderem dann in Verwahrung genommen, „wenn diese als Beweismittel für die gegenständliche Untersuchung von Bedeutung sein können“. Eine Anleitung zum Terror fiel bei den Ermittlungen zu einem rechtsextremen Anschlag für die Polizei offensichtlich nicht darunter.
„Wir können heute nicht sagen, ob es ohne die antifaschistische Recherche überhaupt zu einer Anklage gekommen wäre“,sagt Nelson Janßen von der Bremer Linksfraktion. Für ihn entsteht der Eindruck, „dass rechte Gewalt von Ermittlungsbehörden nicht ernst genommen wird“.
Ermittlungen schleppend geführt
Aus der Antwort gehe hervor, dass die Polizei trotz frühzeitiger Spuren die Ermittlungen schleppend geführt und zeitweise sogar komplett eingestellt habe. „Dass im Nachhinein keine Fehler eingeräumt werden und die Antworten des Senats zum Teil hinter den Kenntnisstand des Prozesses zurückfallen, erweckt Zweifel.“
Kritik an dem Verfahren hatten unter anderem auch die Bremer Betroffenenberatung Soliport geäußert: „Die zögerlichen und unprofessionellen Maßnahmen des Staatsschutzes senden ein fatales Signal an alle Betroffenen rechter Gewalt.“ Auf das Gefährdungspotenzial eines Neonazis mit Zugang zu Waffen und Hinweise auf eine rechtsterroristische Motivation sei nicht adäquat reagiert worden. Lea Voigt, Anwältin der Nebenklägerin hatte erklärt: „Die Polizei hat meiner Mandantin und den weiteren Betroffenen über Jahre das Gefühl vermittelt, dass ihr der Fall egal ist.“
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