Ermittlungen gegen Edathy: Anfangsverdacht im Graubereich
Eindeutig legal oder nicht eindeutig illegal? Der Fall Edathy zeigt, dass es kleine große Unterschiede in der Auslegung der Strafnorm gibt.
FULDA taz | Sebastian Edathy hat in Kanada kein eindeutig kinderpornografisches Material bestellt. Dennoch nahmen die Staatsanwälte einen Anfangsverdacht wegen Besitzes von Kinderpornografie an, leiteten ein Ermittlungsverfahren ein und ließen Edathys Wohnung und Büros durchsuchen.
Die Kieler Strafrechtlerin Monika Frommel hält dies für rechts- und verfassungswidrig. Auch Sebastian Edathy selbst beschwerte sich im Spiegel über das „ungeheuerliche“ Verhalten der Staatsanwaltschaft. Die begründet den Anfangsverdacht so: Bei Personen, die „nicht eindeutig strafbare“ Bilder von nackten Kindern besitzen, werde oft auch strafbares Material gefunden, bei dem Kinder zum Beispiel in sexuellen Posen zu sehen sind. Das ergebe sich aus der „kriminalistischen Erfahrung“.
Das Material aus Kanada wurde vom Bundeskriminalamt geprüft und kategorisiert. Edathy habe nur Material der „Kategorie 2“ bestellt, so das BKA. Diese Kategorie ist aber nirgends gesetzlich definiert. Auch das BKA hat keine eindeutige Definition. Manche Medien schreiben nun, es gehe um „strafrechtlich irrelevantes“ Material, andere sprechen von „strafrechtlich nicht eindeutigen“ Bildern. Das BKA fasst aber wohl beides in der Kategorie 2 zusammen: also eindeutig legale Bilder sowie Darstellungen im Graubereich zwischen Legalität und Strafbarkeit.
Letztlich entscheidend ist ohnehin nicht die Einstufung durch die Polizei, sondern die Bewertung durch die Justiz. Und die Staatsanwaltschaft Hannover sieht das von Edathy bestellte Material eben nicht als eindeutig legal, sondern als „nicht eindeutig illegal“. Daraus einen Anfangsverdacht abzuleiten ist weniger abwegig als beim Besitz von eindeutig legalem Material.
Außerdem stützt sich die Staatsanwaltschaft darauf, dass Edathy „konspirativ“ vorgegangen sei. Er habe verschiedene E-Mail-Adressen benutzt und für die Zahlung neue Kreditkartenkonten angelegt. Allerdings hat sich Edathy laut Spiegel bei der kanadischen Firma unter seinem richtigen Namen registriert. Das klingt eher wenig konspirativ.
Doch nicht nur die Hannoveraner Staatsanwaltschaft, auch das Amtsgericht Hannover nahm einen Anfangsverdacht an und erlaubte die Hausdurchsuchung. Außerdem warteten die Ermittler wochenlang, wie sich die anderen Staatsanwaltschaften verhalten würden. Erst als die Mehrheit von ihnen – unter anderem in Frankfurt, München, Augsburg, Dresden und Flensburg – aus dem Besitz von Material der Kategorie 2 einen Anfangsverdacht ableitete, folgte Hannover – „aus Gründen der Gleichbehandlung“.
Das Problem ist weniger das Verhalten der Staatsanwaltschaft als eine Strafnorm mit großem Graubereich. Wenn die Genitalien von Kindern zu sehen sind, ist das schon aufreizend und damit strafbar? Oder eher neutral und damit legal? Bei vielen Bildern sind auch Fachleute unsicher oder kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch