Ermittlungen gegen Adbusting in Berlin: Vollkommen überzogen

Werbung überkleben ist jetzt offenbar schwerkriminell. Zumindest scheint die Berliner Staatsanwaltschaft so einzuschätzen. Ein Wochenkommentar.

Auf einem Marlboro-Plakat wurde der Slogan in "you die" verändert - englisch für "du stirbst"

Manchmal liefert Adbusting Kund*innen auch wertvolle Informationen über das Produkt Foto: Reise Reise/CC BY-SA 4.0

BERLIN taz | Natürlich ist es ein bisschen What­aboutism, wenn man diesen Vergleich zieht. Dennoch bekommt man manchmal den Eindruck, dass es zwei Maßgaben im deutschen Rechtssystem gibt: Denn während in Deutschland 497 Rechtsextreme mit Haftbefehlen frei herummarodieren, bekommen kapitalismuskritische und linke Aktivisten für Bagatellen die ganze Härte der Strafverfolgungsbehörden zu spüren.

Besonders eindrucksvoll, fast schon absurd hat diesen Eindruck ein Prozess bestätigt, der am Dienstag vor einem Berliner Amtsgericht gegen Auflagen eingestellt wurde. 1.200 Euro oder 120 Sozialstunden sollte der Angeklagte S. am Ende einer Einigung leisten.

Eine Summe, die lächerlich ist angesichts des Ermittlungsaufwands, den Polizei und Staatsanwaltschaft für dieses Strafverfahren trieben: Der Angeklagte sollte in verschiedenen Städten ein paar Werbeplakate entfernt haben und Kästen der Firma Wall mit eigenen Postern mit satirisch-politischen Botschaften – sogenanntes Adbusting – bestückt haben. Darauf zu lesen: „Nazis essen heimlich Falafel“, „Mimimimi Free Boehmi Satire darf alles humorlose Kackbratze“ und „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm. Der Nazi macht es andersrum“. Er habe dabei, so die Anklage, auch Werbeplakate entwendet. Schwerer Diebstahl sei dies angesichts der Tatsache, dass diese mit Werkzeug aus Vitrinen entfernt worden seien.

Nun, tatsächlich sind diese Plakate laut Verteidigung 5 Euro wert. Und die Ermittler gingen wohl von 30 Euro aus. Schweren Diebstahl stellt man sich jedenfalls irgendwie anders vor. Egal, wie teuer ein Plakat nun war: In beiden Fällen bleibt es geradezu lächerlich, wie viel Aufwand zur Aufklärung der mutmaßlichen Taten betrieben wurde.

120 Sozialstunden und 700 Euro Anwaltskosten bleiben

Die Polizei Hamburg und Berlin arbeiteten nämlich gemeinsam an dem Fall, weil der vermeintliche Adbuster S. bereits im Zusammenhang mit dem G20-Protesten in Erscheinung getreten war. Damals habe er ein H&M-Plakat mit kritischen Anmerkungen zu deren Arbeitsbedingungen beklebt, wie sein Anwalt Fadi El-Ghazi der taz sagte. Ein Verleumdungsverfahren durch H&M wurde damals allerdings eingestellt, weil es sich bei den kritischen Anmerkungen wohl doch um Tatsachenbehauptungen handelte, wie ein 150-seitiges (!) Gutachten der Staatsanwaltschaft Hamburg glauben machte.

Nach dem Verfahren war die Polizei jedoch auf S. aufmerksam geworden. Ob eine mehrköpfige Soko gebildet wurde, blieb unklar. Jedenfalls arbeiteten offenbar mehrere Polizisten aus verschiedenen Städten an dem Fall. Der Prozess zeigte, dass Ermittler*innen Fingerabdrücke von einem Plakat in Erfurt abglichen, zahlreiche Adbusting-Videos auswerteten und Mitarbeiter*innen der Firma Wall befragten. Sogar eine Hausdurchsuchung bei S. folgte, bei der unter anderem Plakate und Werkzeug gefunden wurden. Nochmal: Das alles, weil jemand ein Werbeplakat überklebt hat.

Und ob das gereicht hätte, um den Prozess zu gewinnen, ist dabei noch ungewiss. Am Ende wollte S. weiteren Stress vermeiden und willigte in eine Einstellung gegen Auflagen ein. Die Kosten für das Verfahren trägt in diesem Fall die Staatskasse. Lediglich seinen Anwalt muss S. bezahlen. Unterm Strich bleiben 120 Sozialstunden und 700 Euro.

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