Erinnerungspolitik in Polen: Den Krieg so zeigen, wie er war
Zum ersten Mal stellt ein polnisches Museum die Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg ins Zentrum. Die Regierung verlangt mehr Patriotismus.
Am Donnerstag eröffnet das Museum nach acht Jahren Bau- und Planungszeit offiziell – und Gründungsdirektor Paweł Machcewicz erwartet einen Massenansturm. „Wir standen schon mehrfach kurz vor dem Aus“, erzählt der 50-Jährige. „Auch jetzt ist nicht sicher, ob wir die nächsten Tagen überstehen werden.“ Das Geschichtsmuseum, ein Prestigeprojekt der vorigen Regierung, war von Anfang an Ziel permanenter Angriffe rechter Historiker und Publizisten.
Die eigentlichen Probleme begannen jedoch mit der neuen Regierung der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst 2015. Diese hat sich eine „neue Geschichtspolitik“ zum Ziel gesetzt, die jede kritische Aufarbeitung der Vergangenheit verhindert – wenn nötig sogar mit Gefängnisstrafen. Inzwischen ist die Rückkehr zum patriotischen „Helden- und Opfermythos“ aus der Zeit der polnischen Teilung im 18. und 19. Jahrhundert offizielles Regierungsprogramm.
Tief unter der Erdoberfläche markieren Originalpflastersteine der einstigen Danziger Großen Gasse den historischen Ort des Museums: Am 1. September 1939 begann hier der Zweite Weltkrieg. Das Linienschiff „Schleswig-Holstein“ beschoss die Westerplatte mit dem polnischen Munitionsdepot. „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“, log Adolf Hitler damals im Berliner Reichstag.
Holocaust steht nicht im Zentrum
Im Jahr 1945 lagen halb Europa und Asien in Trümmern, auch die Große Gasse in Danzig war zerstört. Rohe Betonwände reichen unendlich hoch hinauf. So macht das Museum den Eindruck eines großen Bunkers mit 18 Ausstellungsräumen.
„Was wir zeigen, ist der Krieg, wie ihn die Zivilbevölkerung erlebte – in Polen und auch in anderen Ländern“, erläutert Machcewicz. Gerade in Polen mit seinen vielen zivilen Opfern sei dies gerechtfertigt. Denn von den 5,5 Millionen polnischen Staatsbürgern, die im Krieg ihr Leben verloren, waren nur 300.000 Soldaten. Alle anderen – über drei Millionen polnische Juden und rund zweieinhalb Millionen zumeist katholischer Polen – waren Zivilisten.
Der Rundgang beginnt in einem düsteren Stehkino mit halbrundem Panoramabildschirm. Schnelle Bildsequenzen erinnern an den Aufstieg von Diktatoren wie Hitler, Stalin, Mussolini und Franco. Überall jubeln fanatisierte Massen den „nationalen Führern“ zu. Auch in Japan und Polen. Überall soll die Feindpropaganda das „eigene Volk“ zusammenschweißen. Der nationale Massenrausch mit „Reichsführer“ Adolf Hitler an der Spitze führt innerhalb weniger Jahre zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
„Wir haben uns dazu entschlossen, die deutsche und sowjetische Besatzung, den Bombenkrieg, die Befreiung, den Sieg und die erneute Unterdrückung thematisch zu zeigen, sodass ein Vergleich möglich wird“, erläutert Machcewicz. Dem Holocaust wird zwar ein großer Teil der Ausstellung gewidmet, doch er steht nicht im Zentrum. Für den Hunger im Krieg stehen verrostete Blechnäpfe und löchrige Emailleteller, die in Kulmhof, dem ersten NS-Vernichtungslager im deutsch besetzten Polen, gefunden wurden. Sie gehörten Juden im Ghetto Litzmannstadt (Łódź), die in Kulmhof vergast wurden.
Polen kommt überall vor
Ein russisches Mädchen beschreibt in seinem Tagebuch, wie es bei der Belagerung Leningrads zusehen musste, dass nach und nach die ganze Familie verhungerte. Fotos von Leichenbergen verhungerter Sowjetsoldaten in Gefangenenlagern der Wehrmacht erinnern an die Millionen Opfer in der Sowjetunion.
Die verschiedenen Formen der Kollaboration kommen zur Sprache, die meist von den Nazis inspirierten Pogrome der Lokalbevölkerung gegen ihre jüdischen Nachbarn, ebenso wie der Widerstand dagegen. Polen kommt in jedem der Ausstellungssäle vor. Machcewicz zückt wieder das Handy und prüft die Nachrichten. Entschuldigend sagt er: „Vor einem Jahr habe ich per Mail von einem Bekannten erfahren, dass der neue Kulturminister Piotr Gliński unser Museum liquidieren will.“
Damals hatte Gliński das Museum des Zweiten Weltkriegs mit einem geplanten Westerplatte-Museum zusammenlegen wollen. Mit diesem Trick hätte er die Arbeitsverträge aller bisherigen Museumsmitarbeiter auflösen können. Doch Machcewicz klagte dagegen. Am 5. April wird sich das Gericht erneut mit dem Fall beschäftigen.
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