Erinnerung an NS-Zeit aufrechterhalten: Auschwitz ohne Zeugen

Ein Online­gespräch über neue Perspektiven der Erinnerungskultur. Mit Charlotte Knobloch, Gabriele Hammermann und David Schiepek.

Tor in der Gedenkstätte des KZ Dachau.

Wie erinnert man an die NS-Zeit ohne Augenzeugen? Eingangstor in der Gedenkstätte im KZ Dachau Foto: Sven Hoppe/dpa

Wie können wir künftig an ­Auschwitz erinnern ohne Zeitzeug:innen? Zunehmender Rechtspopulismus und lauter werdende Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r:in­nen verdeutlichen, dass die Nazizeit nicht vergessen werden darf. Zum Onlinegespräch über Erinnerungskultur haben daher am Donnerstag die Bundestags-Grünen eingeladen.

Referiert hat unter anderem Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Knobloch entging als Kind nur knapp der Deportation. Am Beispiel der Nazis sehe man, wie ein Volk sich über Nacht verändern kann, sagt die 88-Jährige. „Deswegen muss man Erinnerungskultur erhalten.“

Mitdiskutiert hat auch Gabriele Hammermann. Die Historikerin leitet die KZ-Gedenkstätte Dachau. Bei deren Gründung in den 1960er Jahren seien es vor allem ehemalige politische Häftlinge gewesen, die aktiv mitgewirkt hätten, sagt sie.

Heute lebten nur noch Zeug:innen, die als jüdische Kinder dort interniert waren. Hammermann bezieht für die Erinnerungsarbeit daher mittlerweile die unmittelbare Nachkriegszeit und die amerikanischen Be­freie­r:in­nen stärker ein.

Aktuelles in Gedenkstätten diskutieren

Um die Verbrechen der Nationalsozialisten auch ohne Au­gen­zeu­g:­in­nen glaubwürdig zu vermitteln, müsse man Aktualitätsbezüge schaffen, ist sie überzeugt. Gerechtigkeitsfragen ließen sich in Gedenkstätten etwa anhand von Asylpolitik diskutieren. So erreiche man auch Schulklassen mit einem hohen Migra­tions­anteil. „Die Erinnerungen an die Flucht ist bei vielen Familien noch sehr präsent“, so Hammermann. Der Gefahr, die Naziverbrechen so zu bagatellisieren, ist sie sich bewusst.

Das Vorwissen sei gerade bei Kindern und Jugendlichen heute sehr heterogen. Der jüngste Gesprächsgast kann das nur bestätigen. David Schiepek war bis vor Kurzem selbst noch Gymnasiast. „Die politische Bildung läuft schlecht“, meint der 19-Jährige. Es dürfe nicht sein, dass Politikunterricht nicht in allen Schulformen verpflichtend sei.

Schiepek kommt aus einer kleinen Stadt in Bayern und hat als Schüler mit Freun­d:in­nen einen Audiowalk entwickelt, der die lokale NS-Geschichte thematisiert. Über die NS-Zeit in der eigenen Stadt, Dinkelsbühl, habe er in der Schule nämlich nichts erfahren, so Schiepek, der mittlerweile sein Politikstudium für das Lehramt begonnen hat.

Mit Virtual Reality durchs ehemalige KZ

Auch im früheren KZ Dachau erinnert man immer mehr digital. In einem virtuellen Rundgang werden historische Fotos direkt auf das eigene Smartphone projiziert, sagt Hammermann. Überhaupt tut sich viel im Virtual-Reality-Bereich. Pilotprojekte, bei denen Schü­le­r:in­nen mithilfe der VR-Brille etwa Rosinenbomber über sich fliegen sehen, gibt es bereits.

Virtual bzw. Augmented Reality fühlt sich so echt an, dass sie auch Ex-Soldat:innen beim Bewältigen traumatischer Kriegserlebnisse helfen kann. Perspektivisch kann VR daher auch für Erinnerungskultur bedeutsam werden: Wenn Zeit­zeu­g:­in­nen nicht mehr in die Schulen kommen, katapultiert man die Schü­le­r:in­nen in die Vergangenheit. Virtuell eben.

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