Norwegen im Nationalsozialismus: Gestörtes Selbstbild

In ihrem Buch hinterfragt Marte Michelet die Erzählung über den norwegischen Widerstand gegen die Nazis – und löst eine Debatte aus.

Zwei Stolpersteine aus Messing in Oslo mit den Namen zweier nach Auschwitz deportierter Juden im Jahr 1942 und 1943

Stolpersteine in Oslo erinnern an aus Norwegen deportierte Juden im Jahr 1942/1943 Foto: ecomedia/robert fishman/imago

Soll denn wirklich ein Gericht darüber entscheiden, wie ein wichtiges Kapitel der Geschichte Norwegens im Zweiten Weltkrieg erzählt werden darf? Das fragte am Sonntag ein Kulturkommentar in der norwegischen Tageszeitung Bergens Tidende. Darauf scheint in der Tat nun der Streit über ein Buch hinauszulaufen, welches das Land seit zwei Jahren beschäftigt: Marte Michelets „Was wusste die Heimatfront“, in dem die gängige Erzählung über den norwegischen Widerstand gegen die Nazi-Okkupation hinterfragt wird.

Drei Tage zuvor hatten neun Nachkommen von Widerstandskämpfern – Söhne, Enkel und eine Nichte – deutlich gemacht, dass sie mit dem Angebot von Verlag und Verfasserin zur Lösung des zwischen ihnen entstandenen Konflikts nicht zufrieden sind. Diese Lösung schien sich abzuzeichnen, nachdem Michelet im Februar einige sachliche Fehler in ihrem Buch eingeräumt hatte. Etwa dass sie einem Unternehmer, der jüdische MitbürgerInnen zur sicheren schwedischen Grenze transportiert hatte, reine Profitmotive unterstellte. Oder ein handgeschriebener Brief aus einem Archiv, den die Autorin wegen einer Namensverwechslung einer anderen Person als dem wirklichen Verfasser zuschrieb.

Im Gesamtzusammenhang ihres Buchs, das den Vorwurf erhebt, in Norwegen hätte deutlich mehr getan werden können, um JüdInnen und Juden vor der Deportation in die Konzentrationslager zu retten, waren das zwar nur kleine Details – aber eben faktische Fehler. Der Gyldendal-Verlag hatte daraufhin eine völlig überarbeitete Fassung ihres Buchs angekündigt, die im Herbst erscheinen soll. „Verlag und Autorin sind sich bewusst, dass in dem Buch Fehler entdeckt wurden, und wir erkennen an, dass dies eine Belastung für die Nachkommen der in diesem Zusammenhang genannten Personen bedeutet“, heißt es in einer Erklärung des Gyldendal-Direktors Arne Magnus.

Was der Verlag aber strikt ablehnt: Die Forderung, die jetzige Auflage zurückzuziehen. Exemplaren, die noch im Handel sind, wird aber ein Erratum beigelegt.

Das jedoch hält die Mehrheit der erwähnten Nachkommen für nicht ausreichend. „Man kann nicht einfach Entschuldigung sagen und die kränkenden Behauptungen weiterhin verbreiten, um Geld zu sparen“, argumentiert deren Anwalt John Elden, der nun mit einem Prozess droht.

Die Fehler, die man Michelet nachgewiesen habe, rüttelten aber eben nicht am Fundament ihrer Hypothese, meint der emeritierte Geschichtsprofessor Hans Fredrik Dahl. Eigentlich könne doch niemand ernsthaft infrage stellen, dass es für Norwegen alles andere als ein Ruhmesblatt sei, dass die Hälfte seiner jüdischen Bevölkerung den Nazis in die Hände fiel. Sie sei davon ausgegangen, dass man dies 75 Jahre nach Kriegsende auch sagen dürfe, sagt Michelet: „Mir ist aber jetzt klar, dass ich damit immer noch in ein Wespennest gestochen habe.“

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