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Erinnern, sterben

Das Bein von Onkel Alfred mag ein gut gewählter Auftakt sein für einen Roman, der mehr von irdischen als von himmlischen Kindern handelt. Als „meistgewickeltes Bein der Welt“, Mitbringsel aus dem letzten Weltkrieg, ragt es in die Geschichte einer Adoleszenz in Thüringen. Kleine Verhältnisse: Fahrten zu viert auf einem „Karre“ genannten Kraftrad, gesteuert vom Vater, einem Uranbergbauern bei der Wismut, Selbstverwirklichungsversuche in Mietwohnungen und Kleingärten, Suff und Puff bei der Nationalen Volksarmee. Alles in allem entzündet sich mehr, als wächst und gedeiht, und daß Weida, der Ort des Geschehens, nahe bei Weltwitz liegt und auch Wünschendorf, ändert nichts an der radikalen Bewegungslosigkeit der Akteure. Es ist ein weiterer Blick in die Puppenstube DDR, den Stephan Krawczyk in seinem ersten Roman gewährt – Erinnerungshilfe für die, die's mitgemacht haben, den Westler gruselt's vor perverser Sehnsucht nach einer Welt ohne Warenästhetik, von der er in der Kindheit noch einen Traumzipfel erhascht haben mag: Schwimmbäder im Sommer, Buntstifte beim Kleinstadtkrauter, Radiotage daheim. Doch Krawczyk ist ein weit besserer Erzähler, als seine Lieder es vermuten ließen, er singt den Ostsoul mit ganz eigener Färbung und versteht es zugleich, die Idylle prächtig zu vergiften. Wo sonst schon nichts wächst – das Uran frißt sich weiter durch die väterliche Lunge, und wo gestorben wird, wird auch entrümpelt. Wenn am Ende der Erzählfluß in der Gegenwart ausläuft, wird klar, daß Weida genausogut auf dem Mond liegen könnte. „Warst du schon mal da? – ich bin mal durchgefahren“. tg

Stephan Krawczyk: „Das irdische Kind“. Volk und Welt, 266 Seiten, geb., 36 DM

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