piwik no script img

Erhöhung des gesetzlichen MindestlohnsMinimal mehr Mindestlohn

Sozialverbände hatten einen großen Sprung auf 14 Euro gefordert. Nun soll das gesetzliche Minimum nur um 82 Cent steigen. Und auch das nur in zwei Schritten.

Putzwagen vor einer Toilettentür: Den gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit 2015 in Deutschland Foto: Geisser/imago

Berlin dpa/taz | Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll zum 1. Januar 2024 von 12,00 auf 12,41 Euro und ein Jahr später auf 12,82 Euro angehoben werden. Diesen Vorschlag legte die zuständige Mindestlohnkommission am Montag in Berlin vor. Die Empfehlung wurde dieses Mal allerdings nicht im Einvernehmen getroffen. Die Arbeitnehmervertreter in der Kommission sind gegen diese in ihren Augen zu geringe Anhebung und wurden nach eigenen Angaben in der Kommission überstimmt.

Der Vorschlag der Mindestlohnkommission muss von der Bundesregierung noch per Verordnung verbindlich gemacht werden. Normalerweise ist das Formsache. Wie es vor dem Hintergrund dieses Abstimmungsergebnisses läuft, blieb am Montag zunächst unklar.

„Die Beschlussfassung fällt in eine Zeit schwachen Wirtschaftswachstums und anhaltend hoher Inflation in Deutschland, die für Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen große Herausforderungen darstellen“, heißt es im Beschluss der Mindestlohnkommission. Die Mehrheit der Kommission halte es im Rahmen einer Gesamtabwägung für vertretbar, den Mindestlohn in diesem Umfang zu erhöhen.

Die Mindestlohnkommission habe gegen die Stimmen der Gewerkschaften einen absolut nicht zufriedenstellenden Beschluss gefasst, teilte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit. Vorstandsmitglied Stefan Körzell, der auch Mitglied der Mindestlohnkommission ist, sagte am Montag in Berlin: „Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen.“ Mit dem Beschluss erlitten die fast sechs Millionen Mindestlohnbeschäftigten einen enormen Reallohnverlust. „Um einen Mindestschutz und einen Ausgleich der Inflation zu gewährleisten, hätte der Mindestlohn zumindest auf 13,50 Euro steigen müssen. Die Arbeitgeber und die Vorsitzende der Kommission haben sich dem verweigert.“

Schwierige Verhandlungen

Die Positionen hätten sehr weit auseinander gelegen, sagte die Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Christiane Schönefeld, bei einer Pressekonferenz in Berlin. Die Verhandlungen dauerten ihren Angaben nach bis in den frühen Montagmorgen.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte den Mindestlohn zuletzt zum 1. Oktober 2022 ausnahmsweise per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben. Vor allem die SPD hatte sich im Bundestagswahlkampf 2021 dafür eingesetzt. Der aktuelle Erhöhungsschritt soll nun wieder wie üblich auf Vorschlag der Kommission zustande kommen.

Inflation übersteigt die Erhöhung deutlich

Mit der Inflation kann die Anhebung aber nicht mithalten. Die liegt aktuell bei rund 7 Prozent. Die jetzt diskutierte Mehrbetrag entspräche einer Steigerung von weniger als 3,5 Prozent pro Jahr. Sie bedeutet also faktisch eine Reallohnkürzung.

Angesichts stark gestiegener Verbraucherpreise hatten sich unter anderem Sozialverbände für eine Anhebung um 2 Euro auf 14 Euro ausgesprochen und auch darauf verwiesen, dass höhere Löhne später zu höheren Renten führen. Aus der Wirtschaft kamen dagegen Warnungen: „Eine zu deutliche und zu schnelle Erhöhung des Mindestlohns wäre für viele Handelsunternehmen nur sehr schwierig zu stemmen“, sagte etwa der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth.

Den gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit 2015 in Deutschland. Zum Start lag er bei 8,50 Euro die Stunde und ist seitdem mehrfach erhöht worden. Nach dem Mindestlohngesetz muss eine aus jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern, zwei Wissenschaftlern und einer oder einem Vorsitzenden besetzte Kommission alle zwei Jahre unter Berücksichtigung der Tarifentwicklung im Land einen Vorschlag für die künftige Höhe der Lohnuntergrenze machen. Stimmberechtigt sind die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Kommt es zum Patt, kann der oder die Vorsitzende mit seiner Stimme eine Mehrheit herstellen. Das war dieses Mal der Fall.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes profitierten von der letzten Erhöhung im vergangenen Herbst rund 5,8 Millionen Beschäftigte, die vorher weniger als 12 Euro die Stunde verdienten. Arbeitgebern, die gegen die Lohnuntergrenze verstoßen, drohen Bußgelder bis zu 500 000 Euro.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Na jetzt übertreiben die aber: 41 Cent mehr und das schon ab 2024! Das geht ja überhaupt nicht! Ist zwar minimal unter den 10 Milliarden für Intel und kommt nicht ganz an das Gehalt von Baerbocks neu angestellter Kosmetikerin mit 7.500 € ran, aber glatte 41 Cent mehr, kann dazu führen, dass die Friseure massenhaft arbeitslos werden. Was dann? Nimmt die Intel? Oder Baerbock?

  • Seien wir zynisch und ehrlich, das ist nur konsequent.

    Das Drittel der Abgehängten, in Prekariat, Niedriglohn und Bürgergeld, wählt nicht mehr und falls doch, dann die Falschen.

    Wenn die Inflation, getrieben von Energiekosten - und damit dem eigenen politischen Handeln - schon steigt, sollen wenigstens die Arbeitskosten unten bleiben, damit die Gewinne stimmen.

    40 % der Haushalte in Deutschland haben keine Rücklagen und dennoch sollen die Politik finanzieren, die sich an der Befindlichkeit saturierter Schichten orientiert.



    Was wäre ein treffendes Wort?



    Verachtung oder lieber Ignoranz?

    Als aside:



    Es gibt kein Lohnabstandsgebot, was es gibt, ist ein schäbiger Versuch, das absolute Minimum zum Leben noch weiter zu reduzieren.



    Es wird also nur das gewährt, was absolut zum Leben notwendig ist, nicht mehr.

    Man beachte, der Warenkorb zur Berechnung dieses Satzes, ergibt sich aus einem Warenkorb der unteren Einkommen, minus einer weiteren Reduktion.

    Wer arm ist, muss dafür auch entsprechend bestraft werden.



    Und das ist möglich, weil es keine Partei gibt, die die Interessen der Menschen vertritt.

  • Nur mal als Gedankenanreiz, die Höhe des Mindestlohnes bestimmt in starkem Maße die Ersatzrationalisierung.



    So haben wir in unserem Unternehmen nach dem politischen 12€/h die gesamte Gebäudereinigung extern vergeben.



    Werkvertragsnehmer war ein pfiffiges und junges Unternehmen, welchse die Boden und Türreinigung über Reinigungsroboter anbietet.



    Somit konnten in Summe 2 Voll und Teilzeitkräfte durch 2 Personen ersetzt werden.



    Im nächsten Jahr werden wir diese Technisierung auch im gartentechnischen Bereich umsetzen.

    • @BundesbürgerIn:

      Mit Werkverträgen die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgehen.

      Das ist ja - leider - nichts Neues.

    • @BundesbürgerIn:

      Es reißt sich ja wahrscheinlich niemand um Putzjobs. Die Leute werden woanders gebraucht. Wenn ein hoher Mindestlohn dazu führt, dass unangenehme Arbeiten nicht mehr von Menschen gemacht werden müssen, weil sich Technik dann mehr lohnt, ist das noch rin Argument für einen höheren .

  • Wenn es um Armut geht, geht es in den Debatten, gerade auf der linken Seite des politischen Spektrums, immer um "Hartz4", ALG2, Bürgergeld, bedingungsloses Grundeinkommen. Das sind Lösungsansätze aus einer Zeit, als man glaubte, es würde dauerhaft Massenarbeitslosigkeit geben. In einer Zeit des Arbeitskräftemangels müssen wir davon wegkommen, Armut mit Transferleistungen ohne Gegenleistung auf Kosten der Steuerzahler bekämpfen zu wollen. Es muss wieder primär um höhere Löhne gehen, vor allem um einen höheren Mindestlohn. Dadurch steigt auch der Druck auf die darüber liegenden Löhne, es gibt höhere Steuereinnahmen und Einnahmen der Renten-, Kranken- und Pflegekassen, so dass viel weniger Menschen von der Grundsicherung abhängig sein müssten, auch wenn sie nicht direkt von höheren Löhnen profitieren, weil sie nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

    • @Ruediger:

      schrieb: "Es muss wieder primär um höhere Löhne gehen, vor allem um einen höheren Mindestlohn."

      Die Gewerkschaftsvertreter in der Mindestlohnkommission haben ja nicht ohne Grund gegen diese auch aus meiner Sicht deutlich zu niedrige Anhebung gestimmt.

  • Sorry, aber wer nur Gewinner erwirtschaften kann, weil er seine Angestellten ausbeutet, der sollte nicht noch vom Gesetz geschützt werden. Marktwirtschaftlich gesehen bedeutet dass dann einfach, dass das Produkt was produziert wird vielleicht einfach nicht gebraucht wird. Oder man muss halt weniger Leute anstellen. Und gerade bei großen Firmen muss man halt Mal auf übermäßige Boni und Gehälter auf der Führungsebene verzichten. Weil wenn eine Firma nur durch Ausbeutung funktioniert muss ich mich schon fragen ob sie betriebswirtschaftlich gesehen überhaupt Sinn macht....

    • @curiouscat:

      Deinen Feststellungen kann ich mich "nur" anschließen.

  • Auf diese Weise wird das Lohnabstandsgebot in Zukunft noch weniger eingehalten werden können, was den Anreiz zur Vollzeitarbeit im Niedriglohnsektor weiter mindert - zumal die nächste deutliche Anhebung beim Bürgergeld ab 01.01.2024 ja schon öffentlich angekündet wurde.

    Bei den Kombinationen "Teilzeit + ' Wohngeld Plus' + ggf. Kinderzuschlag (bei Kindern im selben Haushalt, bei zwei Elternteilen im selben Haushalt entweder ein Vollzeit- oder zwei Teilzeit-Arbeitnehmer)" oder "Bürgergeld + Minijob" hat man netto insgesamt nur unerheblich weniger zur Verfügung - bei einer weitaus besseren Work-Life-Balance (durch deutlich weniger Arbeitsstunden).