Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde: Hoffnung nach 52 Jahren Knast

Karlsruhe sieht die Grundrechte des verurteilten Mörders Klaus Bräunig verletzt. Über seine Freilassung muss neu entschieden werden.

Ein Stacheldrahtzaun hängt an einer Mauer

Das Landgericht Koblenz muss erneut über Bräunigs Entlassung auf Bewährung entscheiden Foto: Silas Stein/dpa

FREIBURG taz | Der verurteilte Doppelmörder Klaus Bräunig kann nach 52 Jahren hinter Gittern doch noch auf eine Freilassung hoffen. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete die Justiz zu einer erneuten Prüfung seines Antrags auf Haftenlassung.

Der Hilfsarbeiter Klaus Bräunig war ein polizeibekannter Spanner. Als 1970 die Mainzer Kinderärztin Margot Geimer und ihre Tochter Dorothee brutal mit einem Messer ermordet wurden, geriet auch Bräunig in Verdacht – und gestand. Zwar widerrief der Mann das Geständnis (wie er auch zwei weitere Geständnisse später zurücknahm), doch das Landgericht Mainz verurteilte ihn 1972 wegen zweifachem Mord zu lebenslanger Freiheitsstrafe.

Nach 27 Jahren in Haft stellt das Landgericht Koblenz 1997 fest, dass nun die schuldangemessene Strafe verbüßt ist. Bräunig wird aber dennoch nicht entlassen, weil er immer noch als gefährlich gilt. Lebenslange Haft kann nur zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn keine Rückfallgefahr besteht. Immer wieder scheitert Bräunig vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, dass er sich nicht mit der Tat auseinandersetze – weil Bräunig bis heute darauf beharrt, er sei unschuldig verurteilt worden.

Bräunigs neue Anwältin Carolin Arnemann aus München geht nun zweigleisig vor. Einerseits arbeitet sie an einer Wiederaufnahme des Falles und muss dazu neue Beweismittel zusammentragen. Sie sucht hierbei auch die Öffentlichkeit; die ARD strahlte im letzten Herbst eine dreiteilige True-Crime-Doku zum Fall Bräunig aus. Zugleich versucht Arnemann, eine Haftentlassung von Bräunig durchzusetzen, weil er inzwischen alt und nicht mehr gefährlich sei.

Keine weiteren Morde

Auf dieser zweiten Schiene hatte die Anwältin nun mit einer Verfassungbeschwerde Erfolg. Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts sah in den ablehnenden Gerichtsentscheidungen von Landgericht Koblenz und Oberlandesgericht Koblenz eine Verletzung von Bräunigs Grundrechten.

Für die Haftentlassung komme es nach so langer Inhaftierung nicht darauf an, dass Bräunig überhaupt nicht mehr rückfällig werde, sondern darauf, dass er keine neuen Morde begehe, betonen die Verfassungsrichter:innen. Es genüge deshalb nicht, eine fortbestehende sexuelle Dranghaftigkeit mit Neigung zu Voyeurismus und Exhibitionismus festzustellen.

Die Koblenzer Gerichte hätten sich auch nicht genug damit auseinandergesetzt, dass Bräunig jetzt 79 Jahre alt sei und Tötungsdelikte schon deshalb weniger wahrscheinlich seien als in seiner Jugend.

Bräunig war zwar schon mehrfach im Offenen Vollzug, dies wurde aber regelmäßig abgebrochen, weil bei ihm Gegenstände gefunden wurden, die er nicht besitzen durfte: Ferngläser, Kabelbinder, Pornohefte und Pornovideos. Die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen sahen darin aber noch keine ausreichenden Indizien für die Gefahr weiterer Tötungsdelikte.

Ausgang offen

Vielmehr stellten die Karlsruher Rich­te­r:in­nen auf Bräunigs weitgehend beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug ab. Auch zwei tagelange unbegleitete Ausgänge seien erfolgreich verlaufen. Das Landgericht Koblenz wertete dies als irrelevant, schließlich wisse Bräunig, dass er nur bei tadellosem Verhalten eine Chance auf Freilassung habe. Für die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen ist dies ein verfassungsrechtlich relevanter Fehler; die erfolgreiche Erprobung eines Häftlings in Freiheit müsse immer positiv gewertet werden.

Nun muss das Landgericht Koblenz erneut über Bräunigs Entlassung auf Bewährung entscheiden. Ein Erfolg ist auch nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde nicht sicher. Denn auch die Karlsruher Rich­te­r:in­nen betonten, dass „verbleibende Zweifel an einer hinreichend günstigen Prognose zulasten des Verurteilten gehen“.

Az.: 2 BvR 117/20 u.a.

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