Erfasste antisemitische Vorfälle: Judenhass und Statistik
Im ersten Halbjahr zählte die Polizei in Berlin 615 antisemitische Straftaten. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen lohnt.
Nach jeweils etwa 70 Gewaltdelikten in den Vorjahren weist die Statistik für die vergangenen sechs Monate zwölf derartige Taten aus. Dabei wurden insgesamt sieben Menschen verletzt. Eine genaue Zuordnung der statistisch erfassten Fälle zu einzelnen Taten lässt sich aus den Zahlen nicht ableiten.
Jedoch müssen Gewaltdelikte nicht zwangsläufig Körperverletzungen oder Brandstiftungen sein, auch klassische Demonstrations-Straftaten wie Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte fallen darunter. Die Opfer sind daher nicht unbedingt Jüdinnen oder Juden, sondern können auch Polizeibeamte sein.
Die schwerste Straftat allerdings war ein versuchter Tötungsdelikt durch einen jungen Syrer, der im Februar am Holocaust-Mahnmal einen Spanier mit einem Messer lebensgefährlich am Hals verletzte. Die Tat wurde als antisemitisch eingestuft. Im vergangenen Monat erhob die Bundesanwaltschaft Anklage wegen versuchten Mordes. In einem weiteren Fall steht der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Raum.
Vor allem Propagandadelikte
Schlüsselburg sagte der taz: „Unser Ziel muss sein: Jüdinnen und Juden müssen sich gerade in Berlin, der Stadt in der das Menscheitsverbrechen der Shoah geplant wurde, sicher fühlen. Nichts rechtfertigt Gewalt, Volksverhetzung und geistige Brandstiftung.“ Kritik an der israelischen Regierung müsse „im Rahmen unserer Versammlungs- und Meinungsfreiheit friedlich“ erfolgen.
Die erfassten Fälle umfassen die Phänomenbereiche politisch motivierte Kriminalität rechts und links, ausländische und religiöse Ideologie sowie sonstige, unter der vor allem Taten aus der verschwörungsideologischen und Reichsbürgerszene erfasst werden.
Konstant über die vergangenen drei ersten Halbjahre entfallen etwa drei Viertel der als antisemitisch erfassten Straftaten auf Motivlagen, denen eine ausländische und religiöse Ideologie zugeschrieben wird. Dabei handelt es sich überwiegend um Vorfälle auf propalästinensischen Demonstrationen, vor allem Propaganda- und Volksverhetzungsdelikte, gefolgt von Sachbeschädigungen.
Viele der erfassten Fälle, die keine exakte Zuordnung zulassen, sind als Verstöße gegen den Paragraph 86a des Strafgesetzbuches ausgewiesen, der das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen regelt. Darunter fällt bislang etwa auch die Parole „From the river to the sea“, deren Strafbarkeit Gerichte zuletzt wiederholt verneint hatten.
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