Erdoğans Syrien-Politik: Trump pfui, Putin hui
Noch nie ist ein türkischer Präsident so mit den USA umgesprungen wie Erdoğan. Putin gegenüber zeigt er sich hingegen devot. Kein Wunder.
E s kann sehr schnell gehen, vom Weltenlenker zur Witzfigur zu werden. Nachdem US-Präsident Donald Trump kürzlich per Tweet verkündet hatte, in seiner „großen Weisheit“ könne er entscheiden, die türkische Wirtschaft komplett zu zerstören, falls Erdoğan nicht sofort seinen Krieg gegen die Kurden stoppt, lässt Erdoğan ihn jetzt wissen, Trump twittere ja so inflationär, man könne das alles ja gar nicht mehr lesen.
Und bevor Vizepräsident Mike Pence überhaupt in Ankara gelandet war, um am Donnerstag bei Erdoğan die Wünsche des US-Präsidenten vorzutragen, ließ der türkische Staatschef bereits öffentlich wissen, was er von Trumps Forderung, er möge doch mit den syrischen Kurden in einen Dialog treten, hält: überhaupt nichts nämlich – weil Erdoğan, wie es sich von selbst versteht, nicht mit „Terroristen“ redet.
So arrogant ist noch kein türkischer Präsident mit der vormals letzten Weltmacht umgesprungen, wie es Erdoğan jetzt tut. Erdoğan, und er ist nicht der Einzige, ist offenbar der Auffassung, dass die USA im Nahen Osten nichts mehr zu melden haben, nachdem Trump sich durch den Truppenabzug aus Syrien selbst aus dem Spiel genommen hat. So wie Europa bereits als heuchlerische Macht von Erdoğan geschmäht wird, wird nun auch Trump und seine Administration Gegenstand von Hohn und Spott.
Ganz anders verhält sich der türkische Präsident zu seinem russischen Gegenüber Wladimir Putin. So höhnisch er sich gegenüber Trump verhält, so devot ist er gegenüber Putin. Das hat im Moment vor allem damit zu tun, dass Putin der eigentliche Machthaber in Syrien ist, von dessen Entscheidungen die kommenden Einflusszonen an der türkisch-syrischen Grenze abhängen.
Aber nicht nur das ist es. Der irrlichternde Trump hat den Respekt der anderen Potentaten dieser Welt verspielt. Erdoğan sieht in Putin einen verlässlichen Partner, in Trump längst nicht mehr. Das Problem ist nicht, dass Trump keine Kriege mehr rund um die Welt führen will – das Problem ist, dass er außenpolitisch mal dieses oder jenes von sich gibt und ihn deshalb kaum noch jemand ernst nimmt.
Darüber hinaus hat nicht nur Erdoğan mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Trump nicht hält, was er am Telefon verspricht. Das ist nicht souverän, und entsprechend lächerlich wirkt dieser Mann im Weißen Haus. Dabei wäre ein Abschied vom US-Imperialismus alter Prägung eigentlich sehr wünschenswert. Doch dazu gehören stringente politisches Strategien – und die hat Trump nicht zu bieten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?