Erdoğans Angriffe in Nordsyrien: Strafanzeige wegen Kriegsverbrechen
Der Generalbundesanwalt soll gegen den türkischen Staatschef wegen Angriffen auf kurdische Einrichtungen ermitteln. Die Erfolgschancen sind gering.
Hinter der Strafanzeige stehen das Netzwerk Kurdischer Akademiker:innen (KURD-AKAD) und der Rechtshilfe-Verein für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD). Neben Erdoğan wurde unter anderem auch Verteidigungsminister Yasar Güler und Außenminister Hakan Fidan angezeigt.
Sie werden für über 200 Luftangriffe auf kurdisch kontrollierte Gebiete im Nordosten Syriens verantwortlich gemacht, die zwischen Oktober 2023 und Januar 2024 stattfanden. Insbesondere Einrichtungen der zivilen Infrastruktur und der medizischen Versorgung seien angegriffen worden. Namentlich benannt wurden Angriffe auf zwei Medical Center in der Stadt Kobane.
Die Anzeigenerstatter um die Bochumer Rechtsanwältin und MAF-DAD-Vorsitzende Heike Geisweid weisen die türkische Rechtfertigung der Angriffe zurück. Es könne hier kein Selbstverteidigungsrecht der Türkei geben, weil die kurdischen Kräfte in den autonomen Regionen Nordost-Syriens den türkischen Staat gar nicht angreifen. Dagegen seien Angriffe auf Kliniken, wie sie jetzt der Türkei vorgeworfen werden, generell verboten und müssten als Kriegsverbrechen bestraft werden.
Das Weltrechtsprinzip
Tatsächlich geht die Türkei schon lange gegen die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen im Norden Syriens vor. Die Türkei unterstellt ihnen eine enge Verbindung zur terroristischen Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Außerdem versucht die Türkei, im Norden Syriens eine Sicherheitszone einzurichten, um dort Syrer anzusiedeln, die in den letzten Jahren in die Türkei geflohen waren.
Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch erlaubt grundsätzlich die deutsche Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, die im Ausland stattfanden und an denen weder deutsche Täter noch deutsche Opfer beteiligt waren. Hier gilt das sogenannte Weltrechtsprinzip. Allerdings kann die Bundesanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen, „wenn sich der Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist“ (Paragraf 153f Strafprozessordnung).
Doch selbst wenn Erdoğan zu einem Staatsbesuch nach Deutschland käme, müsste er wohl kaum mit deutscher Strafverfolgung rechnen, zu vage ist die nur vierseitige Strafanzeige. Darin werden weder juristische Fragen vertieft noch wird genau geschildert, an welchem Tag welche Einrichtungen mit welchen Folgen von der Türkei angegriffen wurden.
Bei früheren Strafanzeigen des Vereins MAF-DAD war das noch anders. 2011 wurde eine 109-seitige Strafanzeige gegen Erdoğan gestellt, in der schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentiert waren, etwa extralegale Hinrichtungen. Eine Strafanzeige von 2016 befasste sich auf sogar 206 Seiten mit Straftaten während einer Ausgangssperre in der kurdischen Stadt Cizre.
Doch auch diese ausführlicheren Strafanzeigen hatten, soweit ersichtlich, nichts bewirkt. Erdoğan konnte später jeweils unbehelligt nach Deutschland reisen und das Land auch wieder verlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml