piwik no script img

Entscheidung über neuen NationalparkShowdown in Ostwestfalen

Nordrhein-Westfalen streitet über die Einrichtung eines zweiten Nationalparks. Wissenschaftler fordern derweil mehr Naturschutz.

Er könnte es sich gut gehen lassen in einem neuen Nationalpark: Europäischer Feuersalamander Foto: Philippe Clément/imago

Potsdam taz | Ein gutes halbes Jahr vor der nächsten Naturschutz-Konferenz der Vereinten Nationen haben 64 Wis­sen­schaft­le­r:in­nen die zehn „Must-Knows“ der Biodiversitätsforschung veröffentlicht. Diese wichtigsten Erkenntnisse des Leibniz-Netzwerks Biodiversität sollen zudem die Nationale Biodiversitätsstrategie befeuern, die demnächst verabschiedet wird. Erste Forderung: Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam verwirklichen. „Klimapolitik muss vom Schutz der Biodiversität her gedacht werden“, sagt Leitautorin Kirsten Thonicke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. So könnten 40 Prozent der Treibhausgasemissionen des Landwirtschaftssektors durch Wiedervernässung der Moore reduziert werden.

Ein weiteres Must-know: Unbekannte Artenvielfalt erhalten. „90 Prozent der Biodiversität kennen wir nicht“, sagt Sibylle Schroer vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Wichtig sei es, die Funktionsweise von Ökosystemen zu schützen – und damit auch Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen, „die im Boden oder bei Nacht vom Menschen unentdeckt leben“, sagt Schroer.

Einen besonderen Stellenwert nehmen Land- und Forstwirtschaft ein. Die Wissenschaftler fordern, die vielfältige Nutzung von Waldökosystemen mit dem Schutz der Biodiversität in Einklang zu bringen und die Agrar- und Ernährungssysteme zu transformieren. Dass sie damit auf eine Bauernschaft treffen, die von Transformation gerade wenig wissen will, ist ihnen klar. „Auch die Landwirte sind eine heterogene Gruppe“, sagt Jens Freitag vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, man sehe sie als Partner.

Der Natur mehr Raum geben – darüber wird am Montag in Nordrhein-Westfalen entschieden. Auf den Tagesordnungen der Kreistage Paderborn und Höxter steht die Frage, ob es künftig in der Gegend einen Nationalpark geben soll. Die schwarz-grüne Landesregierung hatte die Forderung nach einem zweiten Nationalpark nach der Eifel seinerzeit in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Bislang findet sich aber keine Region, die solch ein streng geschütztes Gebiet auf ihrer Fläche will. Nachdem einige infrage kommende Landkreise gleich abgewinkt haben, stehen noch das Eggegebirge östlich von Paderborn, der Reichswald am Niederrhein bei Kleve sowie der Rothaarkamm im Kreis Siegen-Wittgenstein im Südosten NRWs zur Debatte.

Das neue Schutzgebiet könnte in den Landkreisen Paderborn und Höxter entstehen

Dort ist gerade ein Online-Dialogforum zu Ende gegangen, in dem Befürworter und Gegner ihre Argumente austauschen konnten. Das Interesse war allerdings gering. Auch der ländlich geprägte Kreis Höxter hatte sich gegen einen „Nationalpark Egge“ ausgesprochen. Doch erfolgreiche Bürgerbegehren in Höxter und in Paderborn setzen das Thema jetzt wieder auf die Agenda. Sollten die beiden Kreistage sich gegen die Bewerbung entscheiden, wird es Bürgerentscheide geben. Sie sind – bei einem positiven Votum – bindend. Die Kreise müssten sich dann beim Land um die Einrichtung eines Nationalparks in der Egge bewerben.

12.000 Hektar für den Nationalpark

Das Eggegebirge mit seinen Buchen- und Eichenwäldern liegt östlich von Paderborn. Verformungen der Erdkruste und die Eiszeiten haben ihm eine besondere Form gegeben: Auf einer Strecke von 48 Kilometern säumen im Osten des Mittelgebirges große Felsblöcke die Hänge. „Diese wilden und unzugänglichen Flächen sind niemals vollständig forstwirtschaftlich bearbeitet worden“, sagt der Biologe und Landschaftsplaner Günter Bockwinkel, der Naturschutzverbände und Nationalpark-Befürworter fachlich berät.

Als Nationalpark infrage kommen rund 12.000 Hektar in dem Gebiet. Sie gehören dem Land NRW und sind schon jetzt zu 70 Prozent Naturschutzgebiet und nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt, doch dieser Schutzstatus reiche nicht aus, sagt Bockwinkel. „Bislang sind dort nur 10 Prozent aus der Nutzung genommen, nach wie vor stehen auf 90 Prozent der Fläche ökonomische Interessen im Mittelpunkt“, so der Biologe, „in einem Nationalpark würden 75 Prozent dem Prozessschutz unterliegen, dort könnte sich der Wald eigenständig entwickeln“.

Außerdem verbinde die Egge Naturräume wie das Sauerland mit dem Weserbergland und dem Harz. Wildkatzen könnten in diesem Biotopverbund wandern, die verschiedenen Populationen sich genetisch austauschen. In Höhlen lebten Fledermäuse wie das große Mausohr und die Bechsteinfledermaus. Weitere interessante Lebensräume seien mehrere hundert Quellen und zahlreiche Moore, in denen Feuersalamander, Libellen und Sonnentau lebten.

Eduard Gockel, stellvertretender Vorsitzender des landwirtschaftlichen Kreisverbandes Paderborn, sieht keine Vorteile in einem Nationalpark. „Es sind fast 95 Prozent der zu schützenden Ziele erreicht“, sagt Gockel, „die fehlenden 5 Prozent werden ganz teuer erkauft“. Ein Nationalpark gleiche einer Enteignung – die Bevölkerung vor Ort, das bislang umsichtig wirtschaftende staatliche Forstamt – sie verlören den Einfluss auf das Gebiet. Bis Ende Juni können sich Kreise und Städte für einen zweiten Nationalpark in NRW bewerben. Bis zum nächsten UN-Naturschutzgipfel sind es dann noch vier Monate.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die "12.000 Hektar ... gehören dem Land NRW". Nimmt das LAND den Druck vom bewirtschaftenden LANDESbetrieb, unbedingt gewinnbringend (oder kostendeckend) arbeiten zu müssen, schon lassen sich alle Ziele erreichen, die mensch und tier sich wünschen können. Dafür brauchts kein Bürokratie-und Zentralisierungsmonster. 120 Quadrat-km, das wären als Quadrat ein solches von 11 km Kantenlänge. Aufs 4 1/2-fache gestreckt, entlang der zitierten 48 km des Klippen und Felsenmeers, wär das Gebiet dann noch 2 1/2 km breit - nur mal, um die abstrakten hundertzwanzigtausend Hektar zu was Konkretem zu machen.

    EIN (sic) zweites solches Schutzgebiet (also irgenddeins, aber eben eins, egal wo, wie, was , Hauptsache das Schlagwort stimmt im Koalitionsvertrag) auf dem aufs Barockeste umgrenzten Zufallsgebilde NRW, das ist Symbolpolitik. Schutz unsrer Kulturlandschaft geht so nicht.

    Der auch hier zitierte Schwarzwald -die Bilanz des Nationaldingensbummensgebietes ist allerhöchstens: durchwachsen.

  • Es ist sehr schade, dass die Diskussion in der Regel nur Konfrontation zwischen verschiedenen Lobbygruppen verläuft. Da hätte das Land mit einer anderen Vorgehensweise viel Druck aus dem Kessel und mehr Bürgerinteresse in den Prozess bekommen können. So wird’s nix werden mit dem stärkeren Naturschutz.

    • @vieldenker:

      "Es ist sehr schade, dass die Diskussion in der Regel nur Konfrontation zwischen verschiedenen Lobbygruppen verläuft. "

      Unterschiedlich betroffene Bürger haben immer auch unterschiedliche Interessen. Das ist völlig normal. Der Prozess dahinter ist ein ureigner demokratischer.

      Von welchen darüber stehenden Bürgern gehen Sie aus, wenn sie ein abstraktes Bürgerinteresse postulieren?

      • @Rudolf Fissner:

        Die meisten Bürger in den betroffenen Gebieten haben sich in Wahrheit noch nicht hat wirklich mit dem Für und Wider auseinandergesetzt, bzw. auseinander setzen können. Durch das vom Land gewählte Verfahren wurde unnötiger Zeitdruck aufgebaut, der sich im Endeffekt auf „zwei Lager“ fokussierte: Die einen wollen aus unterschiedlichen Gründen auf keinen Fall mehr Einfluss des Landes in die Planungen vor Ort, die Nieren wollen aus ihrer ökologischen Perspektive genau das. Die Mehrheit weiß letztlich gar nicht, was das eine oder andere wirklich bedeuten würde. Genau das aber wäre im Sinne eines echten demokratischen Diskurses sehr wünschenswert.

  • Minister Krischer kennt den Eifler Nationalpark sehr genau (Heimat & Wahlkreis), der hat der Region in der Nähe von Köln und Bonn neue Energie eingehaucht. Siehe auch Bayerischer Wald oder Schwarzwald.



    Die letzten CDU-Ostwestfalenschädel sollten - meinetwegen in Hermann-Tradition - den Wert des deutschen Waldes einfach anerkennen.

  • Enteignung.- geht es auch kleiner? Gockelund die seinen sollten sich einfach mal mit den Kollegen im Bayerischen Wald austauschen. Das wäre lösungsorientiert.