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Entschädigung wegen PolizeigewaltErneut in den Rücken gefallen

1995 wird eine Frau von Polizisten schwer verletzt. Am Mitwoch muss sie noch mal auf Entschädigung klagen – obwohl eigentlich alles geklärt war.

Für Zärtlichkeiten eher weniger bekannt: Berlins Polizisten, hier am 1. Mai (Symbolbild) Foto: dpa

Den 20. April 1995 kann Iris K. bis heute nicht vergessen. An diesem Tag beteiligte sie sich an einer von antifaschistischen Gruppen organisierten Demo gegen die erstarkende Neonaziszene. Kurz vor dem Abschluss stürmte die 23. Einsatzhundertschaft in die Demonstration und verletzte mehrere TeilnehmerInnen. Iris K. erlitt etliche Prellungen und eine schwere Verletzung der Halswirbelsäule.

Die verantwortlichen Polizisten konnten nicht ermittelt werden. Die Anzeige von K. wegen schwerer Körperverletzung wurde abgewiesen. Aber ihre Zivilklage hatte Erfolg: „Frau K. hat am 20. 04. 1995 durch einen Polizeieinsatz Verletzungen erlitten, für deren Folgen das Land Berlin einzustehen hat“, heißt es in einem der taz vorliegenden Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen vom Januar 2010. Darin wird detailliert geschildert, wie K. von einem Polizisten in den Würgegriff genommen wurde und Schläge in den Bereich der Halswirbelsäule sowie im Rippen- und Nierenbereich erhielt. „Die Gewaltanwendung führte insb. zu einem Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule“, heißt es über die gesundheitlichen Folgen für K.

Eigentlich war alles geregelt

Auch die finanzielle Entschädigung scheint dort eigentlich geregelt. „Frau K. erhielt im Jahr 1998 für die bis zu diesem Zeitpunkt bekannt gewordenen Schäden einen Ausgleich durch das Land Berlin. Darüber hinaus hat sich das Land Berlin verpflichtet, auch für künftige Schäden einstehen.“

Doch als sich der gesundheitliche Zustand von K. so verschlechterte, dass sie ihren wissenschaftlichen Beruf nicht mehr ausüben konnte, bestritt das Land plötzlich, dass die Polizeigewalt die Ursache für den schweren Bandscheibenvorfall ist. Damit widerspricht sie nicht nur ihrer eigenen Zusage aus dem Jahr 2010, sondern auch mehreren Gutachten.

Stattdessen stützt sich das Land auf spätere Gutachten, die nicht nur einen Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall und der Polizeigewalt verneinen, sondern K. unterstellen, bewusst oder unbewusst nicht wieder gesund werden zu wollen. „Um die Kosten nicht tragen zu müssen, versucht das Land Berlin, meine Mandantin als psychisch krank zu diskreditieren“, kritisiert Rechtsanwalt Helmuth Meyer-Dulheuer diese Unterstellung.

Er wird Iris K. am Mittwoch vertreten, wenn vor der Zivilkammer des Landgerichts erneut über ihre Klage auf Zahlung für die Erwerbsunfähigkeit verhandelt wird. „Entweder der Senat weist die Klage ab oder die Kammer beantragt ein weiteres Gutachten und vertagt die Entscheidung“, skizziert Meyer-Dulheuer die beiden seiner Meinung nach möglichen Szenarien. Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen erklärte, dass sie sich zu laufenden Verfahren nicht äußert.

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4 Kommentare

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  • Berliner Polizei vollzieht auf Demos Festnahmen und Abtransport zum Polizeifahrzeug standardmäßig per Würgegriff am Hals.

     

    Ein Wunder dass dabei nicht noch mehr passiert. Warum bleiben die staatlichen Gewalttäter straffrei??

  • Polizeigewalt wird ja grundsätzlich geleugnet (und von der ganzen Gilde gedeckt). Aber dennoch ist es grundsätzlich eine Schweinerei. Man mag ja noch Frustration etc. nachvollziehen können, aber körperliche Gewalt geht nun mal gar nicht.

    -- Überhaupt ganz und gar nicht! --

  • Der Staat muss für Polizeigewalt zahlen. Nur so besteht die Chance, dass er seinen Uniformierten klar macht, dass sie nicht machen dürfen, was sie wollen, und dass die Verursachung von derartigen Kosten ihre beruflichen Chancen stark beeinträchtigt.

    Auf die Strafgerichte kann man sich in diesem Zusammenhang eigentlich überhaupt nicht verlassen.

    • @Max Mutzke:

      Selbstverteidigung ist ein Reflex. Wer will, dass Polizeigewalt künftig seltener Thema sein muss (ob nun vor Gericht, in der Presse oder am Küchentisch), der sollte das akzeptieren. Nur dann nämlich ist wirksame Vorsorge möglich. Die Natur des Menschen zu ignorieren, war nie eine Lösung. Es wird auch nie eine werden. Schon gar nicht in einer freien, pluralistischen Gesellschaft, die perspektivisch (fast) ohne Gewalt auskommen will.

       

      Auch Polizisten sind Menschen. Das ist der erste Grundsatz, für den die Beamten und ihre Vormünder sensibilisiert werden müssten. Der zweite lautet: Überreaktionen sind nicht völlig vermeidbar aber gut zu minimieren. Drittens gilt: Wer Fehler tabuisiert, begeht den schwersten Fehler von allen. Er nimmt sich die Möglichkeit, zu reagieren. Viertens: Die menschliche Natur ist nur dann halbwegs beherrschbar, wenn der Einzelfall betrachtet wird. Uniformierte Reaktionen sind kontraproduktiv.

       

      Die Polizei selbst muss unterscheiden. Zwischen solchen Polizisten und Vorgesetzten, die fit sind für den Polizeidienst, und solchen, die es nicht sind. Nicht fit sind alle, die entweder zu „zart besaitet“ sind und unter Stress grundsätzlich aber unabsichtlich überreagieren, und denen, die bereits „Hornhaut auf der Seele“ haben und jeden kleinen Anlass nutzen, um sich bewusst abzureagieren an anderen.

       

      Mit den zuerst Genannten kann man trainieren. Je selbstsicherer sie werden, desto geringer wird ihre Fehlerquote. Die anderen müsste man therapieren. Das ist schon schwieriger, zumal in den Fällen, in denen der „Dachschaden“ bestritten wird. Erschwerend kommt hinzu, dass Hornhaut-Besitzer sich prima instrumentalisieren lassen. Vorgesetzte mit eventuellen psycho-sozialen Defekten (oh doch, die gibt es, und zwar gar nicht mal so selten) werden also einen Teufel tun, solche Leute aus dem Dienst zu entfernen. Sie glauben schließlich an den Segen der Abschreckung (Kampfhundbesitz).

       

      Alles in allem keine besonders gute Ausgangslage. Aber auch keine ganz miese.