Entschädigung für NSU-Opfer gefordert: Gegen den Schlussstrich
Linke und Grüne in Sachsen fordern mit Ende des NSU-Ausschusses einen Entschädigungsfonds für die Opfer. Das Land trage eine Mitverantwortung.
Die Forderung stellten Linke und Grüne bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts zum zweiten sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss. Seit 2015 hatte der Ausschuss die sächsische Beteiligung an der Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit zehn Toten nochmals untersucht. In Sachsen lebte das NSU-Trio fast 14 Jahre unerkannt, hier verübte es auch zehn Raubüberfälle.
Auf eine gemeinsamen Bewertung der Ausschussarbeit konnten sich die Fraktionen nicht einigen. CDU und SPD befanden in ihrem 31-seitigen Fazit, die Polizei habe bei der Fahndung nach dem 1998 abgetauchten NSU-Trio „keine Versäumnisse“ begangen. Beim sächsischen Verfassungsschutz sei zwar die „Analysefähigkeit“ damals „nicht optimal“ gewesen. Heute aber sei die Behörde „gut und leistungsfähig aufgestellt“.
Die Analyse von Linken und Grünen ist weitaus detaillierter, ihr Abschlussbericht kommt auf 1.136 Seiten. Und beiden kritisieren die Behörden deutlich. Es habe „etliche Hinweise“ auf den Verbleib des Trios in Sachsen gegeben. Diese Informationen seien aber nirgends zusammengeflossen, auch habe es „keine Eigeninitiative“ zur Aufklärung gegeben.
„Institutionell versagt“
Dem sächsischen Verfassungsschutz bescheinigen Linke und Grüne ein „institutionelles Versagen“. Es wäre vor allem dessen Verantwortung gewesen, Maßnahmen zum Auffinden des untergetauchten Trios zu ergreifen. Umso mehr, da das Amt früh Hinweise eines Brandenburger Spitzels auf sächsische Helfer der Untergetauchten erhielt. Darauf aber sei „völlig unzureichend“ reagiert worden, Erkenntnisse seien der Polizei nicht übermittelt worden.
Auch eine Analyse zum Verbleib der Abgetauchten „unterblieb völlig“. Der Verfassungsschutz sei schlicht davon ausgegangen, „Rechtsterrorismus existiere nicht“. Eine „objektive Fehleinschätzung“.
Für Linke und Grüne gibt es auch nach Ende des NSU-Ausschusses bis heute „blinde Flecken“ zu der Terrorserie, die Aufklärung sei „nach wie vor nicht abgeschlossen“. „Wir ziehen keinen Schlussstrich.“
Entschädigung muss „unverzüglich“ erfolgen
Beide Fraktionen legten am Mittwoch auch deshalb einen Katalog mit 46 Forderungen vor – darunter die nach dem Entschädigungsfonds. Dieser solle „unverzüglich“ eingerichtet und „finanziell hinreichend“ ausgestattet werden. Die Auszahlungen müssten „unbürokratisch“ erfolgen.
Auch soll es nach Willen von Linken und Grünen einen Erinnerungsort an die rechtsextreme Terrorserie geben. Zwickau hatte für diese Idee bereits Interesse signalisiert. Daneben brauche es auch eine Forschungsstelle zu Rechtsterrorismus im Land, ein Löschmoratorium für Akten mit NSU-Bezug bei den Sicherheitsbehörden – und eine Abschaffung des Landesamts für Verfassungsschutz. Die Linken hatten dies schon länger gefordert, nun tun dies auch die Grünen.
Die Anwälte mehrerer NSU-Opferfamilien begrüßten am Mittwoch die Forderungen der beiden Fraktionen. Deren Fazit der Ausschussarbeit sei „ein wichtiger Beitrag zu der weiterhin notwendigen Aufklärung des NSU-Komplexes“. Der Mini-Bericht von SPD und CDU sei dagegen „ein Armutszeugnis“. Die Forderung nach einer Entschädigung und Würdigung der NSU-Opfer teile man, so die Anwälte.
Thüringen entschädigte Opfer bereits
In Thüringen wurde bereits 2017 ein Entschädigungsfonds für die NSU-Opfer eingerichtet, gefüllt mit 1,5 Millionen Euro. Laut dortigem Justizministerium gingen bisher 68 Anträge ein. 1,4 Millionen Euro seien ausgezahlt worden. Auch ein Mahnmal zu der Terrorserie ist in Planung. Standort soll Erfurt sein.
Bereits am Montag hatte Brandenburg seinen Abschlussbericht zum dortigen NSU-Untersuchungsausschuss vorgelegt – und auch dort Versäumnisse des Verfassungsschutz bei der Verfolgung der untergetauchten Rechtsterroristen festgestellt.
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