Entschädigung für Missbrauchsopfer: 5.000 Euro für jahrelanges Leid
Wie viel Geld wiegt ein zerstörtes Leben auf? Um die Antwort ringen derzeit Kirchen, Internate und Experten. Doch keine Lösung wird den Opfern wirklich gerecht.
BERLIN taz | Manche schreiben eine E-Mail: "Ich kann noch nicht darüber sprechen, aber ich wollte mich schon mal melden." Andere verarbeiten es anders. "Sie können sich nicht vorstellen, welche Dimensionen von Missbrauch uns geschildert werden", sagt Christine Bergmann, "wir bekommen auch ganze Manuskripte, Filme, Lieder und Gedichte."
Christine Bergmann ist die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für die Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie berichtet von einem Problem, bei dem nur die Spitze des Eisberges sichtbar geworden ist. Bei Bergmann gingen über 11.000 Meldungen von Opfern ein. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 47 Jahren - sie wagen also erst nach 30 und mehr Jahren, über die sexuelle Gewalt zu sprechen. "An diesem nicht enden wollenden Schweigen lässt sich erkennen, was sexueller Missbrauch anrichtet", so Bergmann.
Rund ein Jahr ist es her, dass in Sachen sexuellen Missbrauchs mit Enthüllungen über Canisius-Kolleg, Kloster Ettal, Odenwaldschule und anderen eine neue Zeitrechnung anbrach. Ein Jahr später ist zwar das Wissen über die sexuelle Gewalt an Kindern von elf, zwölf, manchmal nur acht Jahren größer geworden. Doch wie man ihnen helfen kann, ist offen - und um eine Entschädigung wird hart gerungen.
Ist es gerecht, jedem Opfer 5.000 Euro zu zahlen, wie es die Jesuiten tun? Ist die Stiftung der Odenwaldschule der richtige Weg? Oder die schnelle Einmalzahlung, wie sie der Opferverein "Glasbrechen" aus dem Odenwald fordert?
"Da können sie würfeln, von wem sie danach verhaut werden wollen", sagt Christine Bergmann. "Auf diesem Gebiet wird es sicher Enttäuschungen geben." Ein runder Tisch mit Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Bergmann und Vertretern der Institutionen sucht jetzt abschließend nach einer Lösung. Gestern tagte er bis nach Redaktionsschluss.
Die katholische Kirche weiß schon, was sie will. Die Bischöfe übernehmen die Kosten für Therapien. Rückwirkend Therapien zu zahlen, das lehnt mancher Bischof ab. Dabei haben Betroffene oft zehntausende Euro für die Behandlung ausgeben. "Manche werden seit 25 Jahren stabilisiert, weil sie sonst gar nicht weiterleben können", berichtet die Mitarbeiterin einer Missbrauchsstelle.
Für die Öffentlichkeit ist indes nur eine Frage wichtig: Wie viel Geld bekommen die Opfer? Manche sagen, unter 10.000 Euro darf die Entschädigung nicht liegen. Die Jesuiten haben 5.000 Euro beschlossen. In den USA wurden teilweise hunderttausende Dollar an Opfer gezahlt, in Österreich geht es um Beträge von 25.000 Euro. Die FDP hat genau diese Summe gefordert.
Es ist ein furchtbares Spiel, denn wirkliche Entschädigung ist unmöglich. Von den Tätern ist meist nichts zu holen. Und: Wie kann man ein zerstörtes Leben in Geld aufwiegen? "Es wäre nicht schön, wenn diese sehr umfassende und komplexe Arbeit am Ende an einer einzigen Zahl festgemacht werden würde", sagt Bergmann.
Die katholische Kirche will jedem Opfer 5.000 Euro zahlen. Dieses Angebot legte die Bischofskonferenz gestern vor. Und begründete: Die Hilfen hätten das Ziel, "zur Heilung der Folgen sexuellen Missbrauchs" beizutragen. Auch einen Präventionsfonds von 500.000 Euro soll es geben, in schweren Fällen wollen die Bischöfe einen Aufschlag gewähren.
Die Offerte macht die Fingerhakelei am runden Tisch deutlich: Christine Bergmann will einen großen Fonds, in den Staat, Kirchen, Internate und andere Institutionen zahlen. Auch Missbrauch innerhalb der Familie, der zwei Drittel aller Fälle ausmacht, könnte so abgedeckt werden. Die Kirche geht ihren eigenen Weg. Manche sagen: Sie will sich mit 5.000 Euro freikaufen.
Immer wieder wird der Vergleich mit Zwangsarbeitern gezogen. Auch für sie gab es einen großen Topf. Sie hatten aus diesem Entschädigungsfonds des deutschen Staates und der Wirtschaft vergangenes Jahrzehnt maximal 7.600 Euro bekommen. Ähnlich wird es wohl beim runden Tisch für die Heimkinder gehen: 120 Millionen sollen dort in einen Fonds gehen, allein 40 Millionen von der Kirche.
Die Missbrauchsopfer sind skeptisch. "Die Bischofskonferenz steuert darauf hin, die lächerlichen und rein materiellen Entschädigungsangebote für Leiden der Heimkinder auch hier anzuwenden", sagt der Autor und Theatermacher Benno Plassmann. Er war Schüler der Klosterschule Ettal, wo Schüler schwer misshandelt wurden. Das Leiden zu messen fällt schwer. Es ist schon kaum möglich, die Zahl der Opfer genauer zu benennen. Von etwa 3.000 Missbrauchsfällen in der Kirche wird gemunkelt. Gesichert ist diese Zahl nicht.
Die wenigsten der Betroffenen reden an den Nottelefonen über Entschädigung, erzählt Christine Bergmann. Sie wünschen sich Beratung und Therapiemöglichkeiten. Ihnen ist es wichtig, zu verhindern, dass andere Kinder das gleiche Schicksal erleiden. "Und sie wollen Anerkennung", sagt Bergmann. "Sie wollen, dass man ihnen endlich glaubt."
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