Entmachtung von Volkswagen-Chef Diess: Königsdrama in Wolfsburg
Betriebsrat, Aufsichtsrat, Öffentlichkeit – VW-Chef Diess hat viele Leute gegen sich aufgebracht. Dabei hat der Konzern auch so schon genug Probleme.
Doch was tut der Konzern in dieser Situation? Das, was er eindeutig am besten kann: Ein Königsdrama von shakespearschen Ausmaßen aufführen. Konzernchef Herbert Diess muss die Verantwortung für die Hauptmarke abgeben, die übernimmt künftig COO Ralf Brandstätter. Die offizielle Sprachregelung lautet: Diess soll mehr Freiraum für strategische Aufgaben erhalten.
In Wirklichkeit steckt hinter der Entmachtung ein Konflikt zwischen Diess und dem einflussreichen Aufsichtsrat. Den hatte Diess düpiert, als er vor mehr als 3.000 Führungskräften des Konzerns Durchstechereien an die Presse geißelte. „Sie sind auch ein Zeichen fehlender Integrität und Compliance. Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passieren und dort offensichtlich zugeordnet werden können“, soll Diess gesagt haben. Offenbar aus Ärger darüber, dass das Manager Magazin darüber berichtet hatte, er selbst habe eine Vertragsverlängerung für sich ins Spiel gebracht.
Im Aufsichtsrat sitzen neben Vertretern der Eigentümerfamilien Piëch und Porsche, der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen, der IG-Metall-Chef sowie hohe Betriebsräte – und damit Menschen, die nur mäßig amüsiert sind, wenn man sie öffentlich quasi als Kriminelle bezeichnet. Es wird kolportiert, dass man sogar über Diess Ablösung nachgedacht habe – soweit ging es dann aber doch nicht. Diess entschuldigte sich öffentlich und ausgiebig – und musste eine erhebliche Beschneidung seines Machtbereichs hinnehmen. Nicht wenige Kommentatoren betrachten ihn nun als Konzernchef auf Abruf.
Streit mit dem Betriebsratschef
Über die Hintergründe kursieren verschiedene Legenden: Die Diess-freundliche Seite verweist auf seine Verdienste bei der Modernisierung des behäbigen Konzerns. Elektromobilität und Digitalisierung sind seine Schlüsselthemen – Konflikte mit der mächtigen Arbeitnehmervertretung seien dabei unumgänglich.
Tatsächlich kam es schon bald nach Diess Amtsantritt 2018 zu Auseinandersetzungen mit Betriebsratschef Bernd Osterloh. Im aktuellen Konflikt trat die IG Metall Ende Mai mit einem Brandbrief an die Öffentlichkeit, in dem sie das schlechte Bild VWs in der Öffentlichkeit beklagte und forderte, jemand müsse Verantwortung übernehmen für „das Produktdesaster unserer aktuellen Modellpalette“. Eine eindeutige Konzernstrategie sei nicht erkennbar, hieß es in dem Brief außerdem. Diess-Freunde interpretieren die Vorgänge deshalb als Arbeitnehmerrevolte gegen einen Chef, der zu viel Veränderungen forderte.
Die weniger Diess-freundliche Seite verweist auf Kommunikations- und Führungsdefizite und wirft ihm mangelndes politisches Gespür vor. Intern höre er zu wenig zu und lasse Probleme zu lange schleifen, heißt es. Auch extern machte Diess zuletzt keine gute Figur. Im Skandal um das rassistische Instagramvideo hat er zu lange geschwiegen. Ein „Tagesthemen“-Interview sorgte für Unmut, weil er einerseits Staatsgelder forderte und andererseits Dividendenzahlungen verteidigte.
Kapitalseite hält an Diess fest
Dass sich im Konjunkturpaket nun keine Kaufprämie wiederfindet, wird ein Stück weit auch Diess angekreidet. Zudem soll er die Probleme beim Golf 8 zu lange schön geredet haben, statt energisch gegenzusteuern. Inwieweit sein Nachfolger Ralf Brandstätter, der als Co-Geschäftsführer ja bisher auch für die Fahrzeuge mit dem VW-Emblem zuständig war, einen besseren Job macht, bleibt abzuwarten.
Welche Seite sich schlussendlich auch durchsetzen wird, es wird Einfluss auf die gesamte Konzernausrichtung haben. Diess Wendung hin zu mehr Elektromobilität und Digitalisierung ist bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Und auch die Führungsstrukturen bei VW bleiben eine Dauerbaustelle. „Das Unternehmen muss jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen“, ließ der Porsche/Piech-Clan verlauten. Die Kapitalseite hält vorläufig weiter an Diess fest.
Ins Hintertreffen geraten ist bei all dem Drama die interne Aufarbeitung des rassistischen Instagram-Videos. Der Spot soll schon Anfang Mai auf dem Twitter-Account des VW-Vertriebsvorstandes Jürgen Stackmann aufgetaucht sein, wurde dort aber wieder gelöscht. Wer ihn dann doch noch freigegeben hat, will die Konzernrevision nun klären. Davon wird abhängen, wer sonst noch bei VW seinen Posten räumen muss.
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