Entmachtung des Parlaments in Venezuela: Scharfe Kritik aus dem Ausland
Das Parlament spricht von einem „Staatsstreich“. Weltweit befürchten Politiker ein Abdriften des Staates in die Diktatur. Peru und Chile ziehen ihre Botschafter ab.
Der von den Sozialisten kontrollierte Oberste Gerichtshof hatte zuvor entschieden, ab sofort der Nationalversammlung alle parlamentarischen Kompetenzen zu entziehen und diese selbst zu übernehmen. Damit wird die Position von Präsident Nicolás Maduro enorm gestärkt und die Gewaltenteilung de facto aufgehoben. Das Gericht warf dem Parlament Respektlosigkeit und unzureichende Zusammenarbeit mit den anderen Staatsgewalten vor. Das Parlament nannte das einen „Staatsstreich“.
Peru zog seinen Botschafter ab, Chiles Präsidentin Michelle Bachelet rief ihren Botschafter zu Konsultationen zurück in die Heimat. Von Buenos Aires bis Mexiko-Stadt war von „großer Besorgnis“ die Rede. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ließ in Brüssel mitteilen, die EU fordere „vollen Respekt für die Verfassung, demokratische Prinzipien, den Rechtsstaat und eine Trennung der Gewalten.“ Das sei entscheidend, um die gegenwärtige Lage im Land friedlich zu lösen.
Seit 1999 regieren die Sozialisten. Nach dem deutlichen Sieg des Oppositionsbündnisses mit sozialdemokratischen, konservativen, liberalen und indigenen Parteien bei der Parlamentswahl im Dezember 2015 entbrannte ein Dauerkonflikt zwischen Exekutive und Legislative.
Regieren mit Notstandsdekreten
Maduro baute das Regieren mit Notstandsdekreten aus, zudem blockierte die Justiz Entscheidungen des Parlaments. Auch die Immunität der Abgeordneten wurde vor wenigen Tagen aufgehoben, die damit nicht mehr vor Strafverfolgung geschützt sind. Nun drohen Massenproteste. Die heftigsten gegen die Regierung gab es zuletzt 2014, als 43 Menschen starben. Der Präsident der Nationalversammlung, Julio Borges, sprach von der Errichtung einer Diktatur. Maduro habe selbst die Anweisung zu diesem skandalösen Urteil gegeben. „Jetzt hat Maduro alle Macht.“
Mit dem Urteil kann Maduro im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichts „durchregieren“. Verschärft hatte sich der Konflikt, als 20 der 35 Mitgliedsstaaten der OAS – darunter die USA, Mexiko, Brasilien und Argentinien – Venezuela mahnten, die Gewaltenteilung zu achten und politische Gefangene freizulassen. Das Parlament in Caracas hatte zuvor die OAS aufgefordert, eine Verletzung demokratischer Rechte durch Maduro festzustellen, was den Konflikt angeheizt hatte.
In Venezuela verschlimmert sich nach Jahren der Misswirtschaft fast täglich die dramatische Versorgungskrise. Als Folge der höchsten Inflation der Welt können die Menschen Lebensmittel und Medikamente kaum noch bezahlen. Das Land ist zudem stark von Importen abhängig, kann aber kaum noch die Produkte in Dollar oder Euro bezahlen.
In Krankenhäusern gibt es kaum noch Medizin. Auch die Gewalt nimmt massiv zu. Zehntausende Menschen sind bereits geflohen. Neben zunehmender Repression gegen politische Gegner wurden zuletzt auch die Daumenschrauben für die Presse angezogen, zudem wurde mehreren ausländischen Journalisten die Einreise verweigert. Ferner wurde die Abschaltung des US-Fernsehsenders CNN in Venezuela verfügt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“