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Entführung nach VietnamErdrückende Beweislage

Trinh Xuan Thanh wurde 2017 von Berlin nach Hanoi entführt wurde. Ein mutmaßlicher Helfer des vietnamesischen Geheimdienstes steht nun vor Gericht.

Seit 2017 im Knast in Hanoi: Trinh Xuan Thanh Foto: Doan Tan / AP

Berlin taz | „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, sagt der Vorsitzende Richter, „wir hatten hier schon Zeugen, die sich weit schlechter erinnert hatten als Sie.“ Die Zeugin soll sich an Vorfälle im Sommer 2017 erinnern. Sie ist die 53-jährige Ehefrau des damals vom vietnamesischen Geheimdienst von Berlin nach Hanoi entführten Trinh Xuan Thanh. Der frühere vietnamesische Wirtschaftsfunktionär hatte in Berlin politisches Asyl beantragt.

Seit Anfang November wird Anh Tu L., einem mutmaßlichen Mitentführer von Trinh Xuan Thanh, vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gemacht. Er ist wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung angeklagt. Sieht das Gericht die Tatvorwürfe als erwiesen an, droht ihm eine Haftstrafe zwischen vier und siebeneinhalb Jahren.

Seit 2016 lebt die Immobilienkauffrau nunmehr in Berlin, sagt sie, mit ihren jüngsten Kindern, 10 und 15 Jahre alt. Die Familie versuche, sich an das hiesige Leben zu gewöhnen. „Meine ältere Tochter ist eine gefestigte Persönlichkeit. Die jüngere fragt jeden Tag nach dem Vater“, so die kleine Frau auf dem Zeugenstuhl.

Seit der Entführung habe sie keinen Kontakt zu ihrem Mann gehabt. Nach Vietnam zu fahren, wäre für sie zu gefährlich. Was sie dem Gericht dennoch über die Haftbedingungen mitteilt, weiß sie von ihrem ältesten Sohn und den Schwiegereltern, die ihn abwechselnd einmal pro Monat in der Haftanstalt besuchen dürfen – zwei Jahre Pandemie ausgenommen, wo Haftbesuche nicht möglich waren.

Vier Jahre lang hätte ihr Mann in der Untersuchungshaftanstalt B14 des Geheimdienstes bei Hanoi in strenger Isolationshaft gesessen. Die Zelle war vier Quadratmeter groß, das Fenster klein. Freigang gab es nicht. Die Zeit ausgenommen, als er Anfang 2018 vor Gericht stand, durfte er die Zelle überhaupt nur zweimal pro Monat verlassen: einmal zum Verwandtenbesuch und einmal zum Telefonat mit einem Verwandten.

Seit 2021 befinde er sich nun in einer normalen Haftanstalt unter besseren Bedingungen, er habe seitdem auch keine destruktiven Gedanken mehr, sagt die Frau im Zeugenstuhl. Doch auch das, was sie als „normale Haftbedingungen“ beschreibt, klingt gruselig: 25 Männer sind in einer Zelle untergebracht. Die Gefangenen gehen arbeiten, haben Freigang und Staatsbürgerkundeunterricht. Kontakte zu Anwälten gibt es nicht.

Dass Anh Tu L., der 32-jährige Angeklagte, erst über fünf Jahre nach der Entführung vor Gericht steht, liegt daran, dass sich L. unmittelbar nach der Tat nach Vietnam abgesetzt hatte. Im zu Ende gehenden Jahr muss ihn dann wohl allerdings die Sehnsucht nach Prag, seiner Heimatstadt, überkommen haben: Er war als Kind dorthin gezogen und hat bis 2017 dort gelebt, seine Mutter wohnt heute noch dort. Bei der Einreise in die Tschechische Republik klickten dann jedoch die Handschellen. L. wurde nach Deutschland ausgeliefert, das ihn mit internationalem Haftbefehl suchte.

L. hat sich bisher vor Gericht nur zu seinen Personalien geäußert. Dabei gab es eine Debatte um seinen Geburtsort, der heute nicht mehr existiert: Der Angeklagte wurde in einem Ort in Vietnam geboren, der längst von der Riesenstadt Hanoi verschluckt wurde. L. macht einen redegewandten, geistig wachen Eindruck. Das ihm vom Gericht nahegelegte Geständnis kam nicht zustande, weil er sich nicht in Bezug auf alle Vorwürfe für schuldig hält. Das erklärten seine Anwälte. Sie hinterließen den Eindruck, dass ihnen selbst ein Geständnis lieber gewesen wäre, denn die Beweislage ist erdrückend. Gerichtstermine sind bis Ende Januar anberaumt. Ob sie reichen, weiß niemand.

Umfangreiche DNA-Funde

Die Daten von L.s Handys weisen aus, dass er an der Ausspähung des Entführungsopfers mitgewirkt hatte. Sein Handy war auch zum Entführungszeitpunkt im Sommer 2017 am Tatort eingeloggt. Laut Bundesanwaltschaft saß er entweder am Steuer des Entführungsfahrzeuges oder war Teil des Kidnapperteams. Das bestreitet der ­Angeklagte. Zusätzlich belastet ihn aber das Ergebnis einer kriminaltechnischen Untersuchung: Derzufolge wurde auf dem Fahrersitz des Tatfahrzeugs umfangreiches genetisches Material gefunden, das ausnahmslos ihm zugeordnet werden konnte.

Zusätzlich wird L. beschuldigt, das Entführungsopfer und mehrere an der Entführung beteiligte Geheimdienstler auf einer Teilstrecke nach Bratislava gefahren zu haben. Das belegen zwei Autobahnfotos der slowakischen Behörden und die Handydaten des Angeklagten. Ab Bratislava wurde Trinh Xuan Thanh bekanntlich mit einem slowakischen Regierungsflugzeug aus dem Schengenraum gebracht.

Schon 2018 gab es einen Prozess vor dem Kammergericht gegen einen Entführungshelfer im Fall Trinh Xuan Thanh, einen Freund von L. Er wurde zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Die hat er inzwischen abgesessen und lebt wieder in Vietnam.

Der damals Angeklagte vermittelte vor Gericht den Eindruck, dass er das Geschehen nicht auf sich bezog. Mehrmals wirkte er abwesend. Als die Richterin ihn ermahnte, einen Kaugummi aus dem Mund zu nehmen, dauerte es lange, bis er begriff, dass er gemeint war.

Nicht so Anh Tu L. Er verfolgt das Geschehen im Saal sehr aufmerksam – ob Thanhs Ehefrau spricht, ob Ermittlungsbeamte Untersuchungsergebnisse vorstellen oder der Richter Dokumente verliest. Auch als ein Polizeibeamter die Daten des Handys auswertet, das L. bei seiner Einreise nach Tschechien abgenommen wurde: Denen zufolge hat er die fünf Jahre seit der Tat in Vietnam gelebt und sich mit Grundstücken beschäftigt, ob als Käufer, Verkäufer oder Makler, bleibt unklar. In Tschechien war er zuvor als Kraftfahrer tätig gewesen. Als „Tagelöhner“, wie sein Verteidiger sagt, was aber wohl tiefgestapelt ist.

Verdächtiger Name im Handy

Wurde der 2017 wohl noch unbedarft zu einer Geheimdienstaktion herangezogene L. während seines Vietnamaufenthaltes vom Geheimdienst geschult? Ist das der Grund, warum das Geständnis ausbleibt? Dafür spricht, dass sich auf seinem Handy der Kontakt zu einem Mann fand, der zumindest denselben Namen hat wie ein an der Entführung mitwirkender Geheimdienstler.

Aufmerksam war L. auch, als ein Polizeibeamter erklärte, demnächst noch ein zweites Handy des Angeklagten auswerten zu können. Die Justiz hatte es in seiner Zelle gefunden. Dort sind Mobiltelefone verboten.

Da L. die Tatvorwürfe teilweise abstreitet und seine Verteidiger ihrem Mandanten verpflichtet sind, bringen diese zum Teil mit theatralischer Geste absurde Beweisanträge vor. So wollen sie fünf Personen vernehmen, die in Vietnam leben. Die sollen sagen, dass ihr Mandant nie persönlich Kontakt zum Entführungsopfer hatte. Unter den gewünschten Zeugen ist das Entführungsopfer Trinh Xuan Thanh selbst, der in Vietnam inhaftiert ist, aber auch ein von der Bundesregierung wegen der Teilnahme an der Entführung ausgewiesener Diplomat und ein mit deutschem Haftbefehl gesuchter mutmaßlicher Mittäter.

Die Verteidigung von L. kritisiert immer wieder Videoaufnahmen in Hotels, aus der Autobahnüberwachung oder auf einem Golfplatz, die die Polizei auswertete. Waren diese Aufnahmen möglicherweise datenschutzwidrig erfolgt? Dürfen sie damit überhaupt herangezogen werden?

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