Enteignung von Immobilienfirmen: Nervöses Kapital
Erstmals trafen der Konzernboss der Deutsche Wohnen und ein Vertreter der Enteignungs-Initiative aufeinander. Es kam zum heftigen Schlagabtausch.
In geschützter Atmosphäre vor etwa 300 Wirtschaftsanwälten und anderen Anzugträgern im Publikum und durch zwei weitere Podiumsgäste getrennt, wagte sich der Chef der Deutsche Wohnen Michael Zahn zum ersten direkten Streitgespräch mit Taheri auf die Bühne. Und doch war er nervös, wie wohl die ganze Branche. Das „Agenda Setting hat die Immobilienbranche bereits verloren“, hatte der Eröffnungsredner Christian Schulz-Wulkow, Leiter des Immobiliensektors von Ernst & Young, gesagt: Bundesweit werde über Enteignungen geredet.
Auch das Sicherheitslevel im und um den Atrium Tower spiegelte diese Nervosität wider. Eine Hundertschaft Polizei hatte sich rings um den Potsdamer Platz verteilt; wer hineinwollte, musste durch Schleusen wie am Flughafen. Die Angst vor den Mietern der Stadt, die noch am vergangenen Wochenende zu Zehntausenden auf die Straße gegangen waren, scheint groß – war aber unbegründet.
Zahn reagierte von Beginn an gereizt auf seinen Konkurrenten, bezeichnete ihn wiederholt als „ideologisch“, „aggressiv“ und „laut“. Seine Ausführungen gipfelten in der trotzigen Aussage: „Herr Taheri, wir lassen uns nicht enteignen und werden nicht enteignet.“ Die Erwiderung kam prompt: „Das entscheiden die Berliner.“
Beidseitiger Angriffsmodus
Auch Taheri, der nach eigener Aussage nicht gekommen war, um zu überzeugen, sondern um der Immobilienlobby „die Wahrheit zu sagen“, ließ kein Bedürfnis nach Harmonie erkennen. „Wenn Sie so weitermachen, wird in fünf Jahren die Enteignung Ihr kleinstes Problem sein“, giftete er seinen Gegenüber an.
Das am vergangenen Wochenende in Berlin gestartete Volksbegehren zur Enteignung großer privater Wohnungsunternehmen hat wohl bereits die benötigte Zahl an Unterstützern erzielt. "Wir gehen davon aus, dass wir höchstwahrscheinlich schon 20.000 gültige Unterschriften gesammelt haben", sagte der Sprecher der Initiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen", Roubez Taheri, am Donnerstag. Damit hätte die Initiative in weniger als einer Woche die notwendige Zahl der Unterstützer zusammen. Für den Antrag eines Volksbegehrens müssten eigentlich 20.000 gültige Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt werden.
Forderungen der Initiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" sind unter anderem, private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, nach Artikel 15 Grundgesetz zu enteignen. Ihre Bestände sollen in Gemeineigentum überführt werden und die betroffenen Unternehmen "deutlich unter Marktwert entschädigt werden". Ziel des Volksbegehrens ist ein Rekommunalisierungsgesetz. Am vergangenen Wochenende gab es bundesweit in zahlreichen Städten Demonstrationen gegen explodierende Mieten. (epd)
Der Deutschen Wohnen warf er vor, nach der Übernahme der ehemals kommunalen Wohnungsbaugesellschaft GSW 2013 mit „Arroganz in die Stadt eingefallen zu sein“. Der Konzern habe die Gesprächsgesuche von MieterInnen, Politik und Öffentlichkeit über Jahre hinweg ignoriert. Das Volksbegehren sei eine Folge dieser fehlgeschlagener Bemühungen, in einen konstruktiven Dialog zu treten.
Zahn erwiderte, dass Probleme nicht durch „Ideologie“ zu lösen seien, und verwies auf zahlreiche Mieterversammlungen und Vereinbarungen mit Bezirken, die der Konzern abgeschlossen habe. Auch sei die durchschnittliche Mieterhöhung von sechs Prozent in den vergangenen sechs Jahren das Gegenteil einer aggressiven Mietenpolitik. Einen „Mietenwahnsinn“ erkenne er nicht, dafür einen „Medienwahnsinn“. Das eigentliche Problem sei ein mit der Linken-Senatorin Katrin Lompscher „ideologisch besetztes“ Stadtentwicklungsressort, das den notwendigen Neubau verhindere.
Es war an Taheri, Zahn daran zu erinnern, dass die Deutsche Wohnen in Berlin bislang überhaupt keine Wohnungen gebaut habe. Das Unternehmen sei kein Wohnungsbaukonzern, sondern ein Spekulationskonzern, der Wohnungen kauft, „um die Preise in die Höhe zu treiben“. Was die Enteignung bringe, wenn doch keine neuen Wohnungen, wurde er gefragt. Taheri antwortete: „Eine halbe Million Menschen kann nachts besser schlafen.“
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