Enquete-Kommission zu Afghanistan: 300 Seiten voller Misserfolge
Die Enquete-Kommission berichtet von 66 Deutschen, die während des Bundeswehreinsatzes zu Tode kamen. Afghanische Opfer finden nicht einmal Erwähnung.

A ls „vernichtend“ und „schonungslos“ wird der Zwischenbericht der Enquete-Kommission zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan bezeichnet. Auf über 300 Seiten werden die Misserfolge der Bundeswehr, des Verteidigungsministeriums und der Bundesregierung(en) – immerhin waren es sechs! – behandelt. Milliardenhohe Kosten für nichts. Unkenntnis über die Realität vor Ort. All das klingt einsichtig und selbstkritisch, doch ist bei Weitem nicht vollständig.
Besonders deutlich wird das erneut, wenn es um konkrete Opferzahlen geht. Der Bericht listet nur die Anzahl der Deutschen auf, die während des zwanzigjährigen Einsatzes getötet wurden: 59 Soldaten, 3 Polizisten und 4 zivile Helfer, insgesamt 66. Afghanische Opfer? Die scheint es nicht zu geben. Dabei wurden im Laufe des „War on Terror“ weit über 176.000 Afghanen – darunter rund 50.000 Zivilisten – am Hindukusch getötet.
Ein Grund dafür ist auch die Tatsache, dass die Opfer der US-Truppen und ihrer Verbündeten, zu denen sich Deutschland stolz zählte und deshalb überhaupt erst mit einmarschiert ist, deutlich seltener erfasst wurden. Viele Militäroperationen und Drohnenangriffe fanden meist in abgelegenen Regionen statt, die für Menschenrechtsbeobachter und Journalisten schwer zugänglich waren. Viele Kriegsverbrechen westlicher Truppen wurden erst in den letzten Jahren, sprich zum Ende oder erst nach dem Einsatz, aufgedeckt.
Es ist deshalb in diesen Tagen besonders wichtig, zu betonen, dass die Bundeswehr in Afghanistan als Kriegspartei agierte und unschuldige Afghanen tötete (etwa 2009 im heute vollständig verdrängten Kundus), während sie mit korrupten Politikern und Warlords paktierte. Kritiker, die dies immer wieder betonten und von denen viele von der Enquete-Kommission übergangen wurden, wussten deshalb auch, dass der Fall der afghanischen Republik früher oder später kommen wird.
In Berlin und anderswo kam man viel zu spät zu dieser Einsicht – auf Kosten afghanischer Menschenleben, die nun erneut unsichtbar gemacht werden.
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