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Energiewende in DeutschlandFlexibilität ersetzt Stromspeicher

In den kommenden Jahren sind zusätzliche Stromspeicher unnötig. Das gilt aber nur, wenn Netze ausgebaut und Kraftwerke anpassungsfähiger werden.

So schön ist unser Stromnetz Bild: dpa

BERLIN taz | Es ist eine vieldiskutierte Frage in der Energiepolitik: Wie viele Speicher sind notwendig, um der Energiewende zum Erfolg zu verhelfen? Kritiker eines schnellen Umstiegs auf Strom aus erneuerbaren Energien argumentieren regelmäßig, dass es keinen Sinn ergebe, zusätzliche Windräder und Solaranlagen aufzustellen, solange ihr Strom nicht für Zeiten ohne Wind und Sonne gespeichert werden kann. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) begründete das geplante Abbremsen der Energiewende im Bundestag im Mai mit diesem Argument: „Es fehlt an Netzen und Speichern.“

Doch führende Wissenschaftler teilen diese Auffassung nicht. In einer Studie für den Thinktank Agora Energiewende kamen Speicherexperten von vier Universitäten zu dem Ergebnis, dass neue Stromspeicher in den kommenden 20 Jahren nicht notwendig sind. „Die Energiewende muss nicht auf Speicher warten“, sagte Agora-Direktor Patrick Graichen am Montag. Dass trotz schwankender Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom immer die benötigte Energiemenge zur Verfügung stehe, könne mit anderen Mitteln preiswerter sichergestellt werden. Dazu gehöre es, konventionelle Kraftwerke so zu flexibilisieren, dass sie ihre Stromproduktion kurzfristig an den Bedarf anpassen können.

Während Gaskraftwerke ihre Stromproduktion ohnehin sehr kurzfristig verändern können, müssten Kohlekraftwerke dafür technisch nachgerüstet oder komplett stillgelegt werden. Auch die Stromnachfrage, vor allem in der Industrie, müsse zeitlich stärker an das Angebot angepasst werden. Zudem soll das Stromnetz grenzüberschreitend ausgebaut werden, um Engpässe und Überschüsse leichter ausgleichen zu können.

Durch diese Schritte könne der „Bedarf an Flexibilität im Stromsystem“ in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren „kostengünstiger gedeckt werden als durch neue Stromspeicher“, schreiben die Wissenschaftler. Untätig bleiben dürfe die Regierung dennoch nicht, sagte Michael Sterner von der Technischen Hochschule Regensburg. „Damit Speicher ab 2030 preiswert zur Verfügung stehen, müssen schon jetzt Bedingungen für die allmähliche Markteinführung geschaffen werden.“

Kurzfristiger Ausgleich notwendig

Allerdings gilt die Absage der Forscher an neue Speicher nur für die langfristige Stromspeicherung, die bisher meist über Pumpspeicherkraftwerke erfolgt. Um das Stromnetz stabil zu halten, ist aber auch ein sehr kurzfristiger Ausgleich von Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage nötig. Diese sogenannte Regelenergie, die für einige Sekunden oder Minuten zur Verfügung gestellt wird und verhältnismäßig teuer ist, stammt fast komplett aus konventionellen Kraftwerken. Sie kann alternativ auch von Batteriespeichern zur Verfügung gestellt werden. Eine große Pilotanlage mit 25.000 Lithium-Ionen-Akkus geht an diesem Dienstag in Schwerin in Betrieb.

Einen Markt für Speicher, der sich von allein tragen wird, sehen die Wissenschaftler auch in Batterien für Elektroautos oder privaten Solaranlagen. Damit diese zur Stabilisierung des gesamten Strommarktes beitragen, müsse angestrebt werden, dass sie von den Netzbetreibern angesteuert werden können.

Kritik an der Agora-Studie kam von Fabio Longo, Vorstand beim Solarenergie-Verein Eurosolar. Sie nehme den massiven Ausbau der Fernleitungen für Strom als gegeben an, erklärte er. Dieser sei jedoch „keine naturwissenschaftliche Notwendigkeit“, sondern eine politische Entscheidung. Ohne den teils umstrittenen Netzausbau wäre der Bedarf an Speichern entsprechend höher.

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12 Kommentare

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  • Tatsächlich sind die auf absehbare Zeit verfügbaren Speichertechnologien der teuerste Weg, um den Überschussstrom aus EE zu ver(sch)wenden. Das Vorhalten von fossilen Reservekraftwerken, die dann nur stundenweise laufen, ist dagegen zwar „preiswerter“, führt aber auch zu einer teuren Verschwendung von Ressourcen und belastet die Umwelt durch ineffizienten Betrieb mit wechselnder Last. Die Anpassung der Nachfrage ist nur begrenzt möglich und erfordert hohe Investitionen in Netz- und Regeltechnik.

    Der Artikel erwähnt nicht, dass in der Studie auch empfohlen wird, die erneuerbaren Energien selbst als Regelenergie zu verwenden, d.h. in Phasen des Überangebots abzuschalten. Dann stellt sich natürlich die Frage, wie lange die Anlagen dann überhaupt noch laufen. Schon mit der garantierten Einspeisung laufen Windkraftanlagen weniger als 2.000 Stunden im Jahr, PV-Anlagen weniger als 1.000 Stunden. (Das Jahr hat 8.640 h.) Wahrscheinlich wäre es am preiswertesten und würde am wenigsten Umwelt-Ressurcen verbrauchen, diese Anlagen gar nicht erst zu bauen.

    • @alfonearth:

      So etwas weis man als Engergiewirtschaftler oder Engergietechniker. Aber der breiten Masse wird das nicht kommuniziert. Wäre ja auch Contra-Produktiv.

  • Vielen dank für den spannenden Artikel. Aus Sicht eines virtuellen Kraftwerks teilen wir viele Argumente dieses Artikels. Auch wir sind der Meinung, dass der Ausbau und Zubau von Kraftwerken und Netzen in dem Maße notwendig ist, wie es häufig in der Diskussion anklingt. Unserer Meinung nach gilt es viel mehr, die Flexibilisierung von Stromerzeugung und Stromabnahme weiter voranzutreiben. Denn mit kurzzeitig und kurzfristig speicherbaren Energieträgern wie etwa Biogas lassen sich Schwankungen im Netz gut ausgleichen.

    Ich möchte in diesem Zuge auf unsere interaktive Simulation hinweisen, die das meiner Meinung nach gut darstellt:

    http://www.next-kraftwerke.de/virtuelles-kraftwerk-spiel/

    • @Next-Presse:

      Sie spinnen. Virtuelles Kraftwerk, ganz toll. Vielleicht noch mit app zum virtuellen kaffe kochen auf dem handy?

      Schon mal die Kurve der Biogas Stromerzeugung angesehen? Ein gerader Strich, weil die Kollegen Ihre Anlagen durchlaufen lassen. sonst verdienen sie nämlich kein Geld.

       

      Klar drosseln die Ihre Stromerzeugung- gegen bares.

       

      DAS wird noch lustig, die PV-Barone steiten sich mit dem Windmüllern und den Gülle Stromern wer wieviel verdienen darf. Wetten die lassen sich Ihre Gewinne weder Flexibilisiern noch virtualisierne.

      • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
        @Thallium:

        Dass Sie offensichtlich nicht wissen, was sich hinter dem Begriff "virtuelles Kraftwerk" verbirgt, ist zwar bedauerlich, aber kein Grund, andere Forums-Teilnehmer zu beleidigen.

  • Lithiom Ionen Akkus? Viel Spaß bei den max. 2000 Ladezyklen.

    Ich rieche Kuhkacke.

     

    Auch die Anpassung der Verbraucher an die schwankenden nichtsteuerbaren Energieträger ist ein Hirngesprinnst.

     

    Überspannungen, durch Übereinspeisungen sind ein echtes Problem der Energienetze. Nicht umsonst wird Deutschland von den Nachbarländern wegen Netzverschmutzung verklagt. Die angepriesene Flexibilität der großen Stromverbraucher ist nicht so vorhanden wie der Autor das sieht. Die stromfressensten Prozesse haben eine gewisse Anlaufzeit.

     

    Das Solarstromprofil mag sich ja halbwegs mit dem Verbrauchsprofil decken, aber Solarstrom in Deutschland ist Unsinnig. Wasserstrom ist hier fast voll Ausgebaut und Wind ist unzuverlässig. Um Speicher kommen wir, wenn das so weiter betrieben wird, nicht herum. Aber an geeigneter Speichertechnologie fehlt es uns. Und da sollte man nicht mit Li-Akkus kommen.

    • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
      @DasNiveau:

      Hallo Dasniveau,

       

      zur Lebensdauer der Akkus: Laut Wemag garantiert der Hersteller Samsung die Leistung für mindestens 20 Jahre: https://www.wemagblog.com/2014/09/16/europas-erstes-kommerzielles-batteriekraftwerk-in-schwerin-eroffnet/

       

      Zu Ihren generellen Anmerkungen zum Thema Speicher erspare ich mir eine Reaktion. Da könnten Sie ja einfach die im Text verlinkte Studie lesen, die alle diese Fragen behandelt...

       

      Viele Grüße

      Malte Kreutzfeldt

      • @Malte Kreutzfeldt:

        Die Lebensdauer der Akkus ist ja auch nicht das Problem. (20 Jahre ... mit wievielen Akkuwechseln?) Die Kapazität der Lithium-Manganoxid nimmt über die Anzahl der Ladezyklen ab. Das man keine unsinnige Großebatterie in die gegendstellt ist klar. Aber die Technik ist nunmal bei Li Zellen begrenzt. Die SuperCap, Schwungrad und Strom-Wärme Speicher sind auch nicht das Gelbe vom Ei.

  • Was soll nun der Blödsinn schon wieder ?

     

    "Auch die Stromnachfrage, vor allem in der Industrie, müsse zeitlich stärker an das Angebot angepasst werden."

     

    Der Strom wird in der Industrie dann gebraucht, wenn produziert wird; und produziert wird genau dann, wenn die Kundenaufträge dazu da sind.

    Alles andere ist Planwirtschaft und damit von vornherein realistisch untauglicher Blödsinn !

     

    That's it !

    • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
      @Maharishi:

      Hallo Mahrishi,

       

      Ihr hartes Urteil erscheint mir nicht gerechtfertigt. Es geht beim Lastmanagement (so heißt die Verschiebung der Stromnachfrage in der Fachwelt) ja nicht um Tage oder Wochen, sondern um Minuten oder Stunden. Und da gibt es bei vielen Unternehmen durchaus eine Flexibilität, wann die Stahlschmelze oder das Sägewerk angeworfen werden. Voraussetzung ist natürlich, dass sie für diese Flexibiliät über den Strompreis finanziell entschädigt werden. Aber genau das ist der Studie zufolge volkswirtschaftlich eben günstiger als der Bau von Speichern. Eine eigene Studie von Agora zum Potential von Lastmanagement steht hier: http://www.agora-energiewende.de/themen/effizienz-lastmanagement/detailansicht/article/endbericht-zum-lastmanagement-erschienen/

       

      Viele Grüße,

      Malte Kreutzfeldt

      • @Malte Kreutzfeldt:

        Ich kenne grosse Folienhersteller, Giessereien und Spritzgusswerke KEINER vondenen wird ohne Not die Produktion drosseln weil irgendwie der Wind heute nicht so mitmacht.

         

        Wie wollen sie wissen, dass es nur um Minuten geht?

        Wenn sie am Strangpressen sind müssen sie gewisse Parameter einhalten sonnst ist die Oberfläche oder die Matrize futsch.

        Wie soll das in der Praxis aussehen? Der Meister guckt auf den Stromzähler und kommandiert welches BAZ jetzt produzieren darf? Kalle mach mal Pause kein Strom da! Bei vollem Lohnausgleich? Bezahlt durch die Stromrechnung als Gebührenpunkt Produktiosnausfallsentgelt?

        • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
          @Thallium:

          Hallo Thallium,

           

          vielleicht lesen Sie einfach mal die in meinem vorherigen Post verlinkte Studie. Die beruht auf einer Umfrage unter 300 süddeutschen Unternehmen und ist damit vielleicht etwas repräsentativer als ihre persönlichen Eindrücke. Und auch auf Ihre sonstigen Fragen finden Sie da die eine oder andere Antwort...

           

          Freundliche Grüße

          Malte Kreutzfeldt