piwik no script img

Endlich kommen warme Worte

Kann Schröder denn nicht einmal Wärme und Geborgenheit ausstrahlen? Für die Basis, den Wähler? Er kann. Gestern im Bundestag brillierte der Kanzler  ■   Aus Berlin Partik Schwarz

„Na, Franz, war das nicht gut?“ In der Lobby hinter dem Plenarsaal strahlt Kulturminister Michael Naumann seinen Kollegen Müntefering an. „Ja“, seufzt zufrieden der Mann, der ab nächster Woche als Bundesgeschäftsführer der SPD für die gute Stimmung in der Partei zuständig ist. Der Bundeskanzler hat gesprochen, und seine Kollegen spenden Lob.

„Ich finde das gut, wenn er offensiv ist“, sagt Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Aufmerksam wurde gestern während der Haushaltsdebatte registriert, wie oft er sich einem Thema widmete: der sozialen Gerechtigkeit.

„Das war besonders deutlich“, so Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Entwicklungshilfeministerin mit ausgeprägtem Linksprofil. „Da kann die Fraktion schnurren“, meint Naumann.

Die Erleichterung ist verständlich. In den Tagen vor dieser Rede hatte eher Murren statt Schnurren die Stimmung bestimmt. Die Sozialdemokraten haben schwere Wochen hinter sich.

Auch wenn die Gründe für Niederlagen nie eindeutig sind, setzt sich bei den Genossen die Befürchtung durch: Mit dem Sparpaket hat die Regierung eine Last geschultert, die sie zunehmend zu erdrücken droht. Die Sozialdemokraten mochten sich als Retter der Staatsfinanzen gesehen haben. Von der Opposition wurden sie als Rentenlügner beschimpft und vom Wähler als kaltherzig abgestraft.

Mehr Gefühle, mehr Wärme müsse Schröder zeigen, verlangte die Fraktion am Montagabend. Eine Mahnung, die wohl mit Bedacht drei Tage vor des Kanzlers großem Auftritt in der Haushaltsdebatte formuliert wurde. Einfühlsamkeit gilt in SPD-Reihen nicht gerade als Gerhard Schröders Stärke.

„Ich will ein Wort zur Rente sagen.“ Ein ganzes Weilchen hat der Bundeskanzler schon geredet. Da hat sich bereits abgezeichnet, dass es ein guter Tag werden wird für die SPD-Abgeordneten, dass sie ein wenig entspannen können und darauf hoffen, künftig an ihren Infoständen und in den Ortsvereinen ein wenig gnädiger behandelt zu werden. Schröder, der nie ein kunstvoller Redner war, hat mit Schwung und weitgehend frei geredet. Vor allem aber hat er jedes Thema vom Abbau der Schulden bis zur Europapolitik mit dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verknüpft. Jetzt also Rente.

„Es ist wahr, wir hätten gern gehabt, dass die Anpassung an die Nettolohnentwicklung möglich gewesen wäre.“ Schröder hält inne. „Es tut mir leid, dass es nicht geht, meine Damen und Herren, aber es geht nicht.“ Wenn er sich so an „meine Damen und Herren“ wendet, hat er längst nicht mehr die Abgeordneten vor ihm im Visier. Auch seine Körpersprache verrät, hier schaut einer tief in die Fernsehkameras, dem Wähler direkt ins Auge. „Eine bittere Notwendigkeit“ sei das Sparpaket, „aber eine Notwendigkeit, wenn Deutschland fit werden soll“.

Das Muster wiederholt sich, das Prinzip heißt, den Wähler am Schlawittchen der Vernunft zu packen und einzubinden in die Staatsräson. „Unser Weg, er ist schwierig, das weiß ich“, wird Schröder am Ende seiner Rede in den Saal rufen, „aber seien Sie sicher, wir werden ihn gehen mit dem Mut und der Entschlossenheit, die Deutschland jetzt braucht.“

Dass Schröders Rede trotz des gelegentlichen Pathos geeignet ist, zumindest sein Parteivolk in Schwung zu bringen, liegt nicht zuletzt an den üppig ausgeteilten Beschimpfungen in Richtung Opposition.

„Nicht aus Mangel an Intelligenz“, sondern „aus Mangel an Redlichkeit“ verkennt CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble nach Schröders Ansicht die Segnungen der rot-grünen Reformen. Dass der CDU-Mann von Rentenkürzungen spricht, will Schröder ebensowenig hinnehmen: „War's ein Versehen, eine Halbwahrheit, oder war's eine Lüge?“ Schröder stellt seine Frage mit sichtbarem Spaß an der Polemik.

In Wahrheit hat der Opositionsführer, der traditionell vor dem Kanzler spricht, ein eher solides Stück Arbeit abgeliefert – und damit unfreiwillig seinem Kontrahenten geholfen. Denn ungerecht, wie es manchmal zugeht in solchen Debatten, wirkt Schäubles Rede rückblickend blasser, mäkeliger und detailversessener, je länger der Kanzler spricht.

„Das ist der richtige Weg!“, verteidigt dieser sein Sparpaket. Gerhard Schröder, der im Bundestag bisher oft staksig schien, wirkt erstmals wie einer, der überzeugt ist von seinem Werk. Hat er am Ende das Thema soziale Gerechtigkeit doch nicht nur mit Blick auf das blutende Herz der SPD-Basis gewählt?

Naumann hat eine Antwort. In seinen Augen stand für den Kanzler mehr auf dem Spiel als Politik: „Einem Mann mit seinem Lebensweg soziale Ungerechtigkeit zu unterstellen, ist wie der Versuch, ihm seine Biografie zu stehlen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen