Ende der Ära Draghi: Marios großes Experiment
Mit Mario Draghi geht an der Spitze der EZB ein Mann, der mit seiner Nullzinspolitik wie kein anderer die europäische Finanzpolitik geprägt hat.
M ario Draghi tritt ab und mit ihm ein Mann, der ohne demokratische Legitimation ein gigantisches Experiment mit Europa zu verantworten hat. Das Gute vorweg: Das Experiment glückte, vorerst. Ohne Draghi würde es den Euro wahrscheinlich nicht mehr geben. Sein berühmter Satz von Juli 2012, er werde die Währung retten „whatever it takes“, ist in die Geschichte eingegangen. Er bedeutete: Wer auf den Untergang des Euro spekuliert, wir wetten dagegen und wir können Geld drucken, ihr nicht. Das hat die Währung gerettet.
Der Euro ist ein noch junges Konstrukt, ebenso wie seine Zentralbank. Was sie darf und muss, ist im Vertrag von Maastricht festgelegt – doch wie sich daraus eine politische Praxis schmiedet, das entschied sich erst im Feuer der Geschichte. Und es war Mario Draghi, der die Rolle der EZB geschmiedet hat.
Er hat durchgesetzt, dass die EZB Staaten finanzieren darf: Für die Rettung des Euro kaufte die EZB Staatsanleihen auf, vom Sekundärmarkt, nicht direkt von den Finanzministerien in Berlin, Athen oder Paris. Auch wenn er öffentlich immer predigte, es gehe nur um das offizielle Mandat der Bank, eine Inflation von zwei Prozent: De facto erweiterte er die Macht der EZB auf Jahrzehnte. Draghi hat politisch Geschichte geschrieben. Nebenbei ist jetzt auch geregelt, wer die EZB kontrolliert: Der Europäische Gerichtshof machte durch seine Urteile klar, dass er die Zentralbank stoppen darf, tat es nur nicht.
Die Deutschen sind nun gefangen in einer Ironie der Geschichte: Sie wollten, dass die EZB genauso unantastbar ist, wie sie Draghi gemacht hat – und hadern nun permanent mit deren Nullzinspolitik. Auch die ist ein gigantisches Experiment, für das es kein historisches Pendant gibt, aus dem sich Rückschlüsse über den Ausgang schließen lassen. Die Nullzinsen sind der eigentliche Grund der schwarzen Null im Bundeshaushalt, sie lassen Sparer*innen mit Sparbuch fluchen und Aktienbesitzer*innen jubeln. Sie haben dem Euroraum ökonomisch auf die Beine geholfen und legen die Grundlage für die nächste Krise. Draghis Experiment wird Europa noch lange beschäftigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?