Emotionen und Medien: Panik zieht
Rechte Plattformen locken mit Fake News über Gewalt an Kindern und Sex mit Tieren. Der Treiber ist Angst. Doch mit der umzugehen, lässt sich üben.
A ls Erstes starrt immer der Hund in Minirock und mit Perücke auf die ratlosen Teilnehmer*innen. „In Dänemark boomen die Tiersex-Bordelle“ steht unter dem Tier. Dem Hund folgen Meldungen über überfallene Rentnerinnen, bedrohte Kinder, gewalttätige „Migranten“.
Die Übung, die nun folgt, klingt einfach. Die Teilnehmenden des Workshops, den ich gebe, sollen sich die Titel und Fotos anschauen und sich dann eine Ecke im Raum aussuchen: Eine steht dafür, dass sie Hass oder Wut empfinden, eine andere für Freude, eine für Angst. Nur die letzte Ecke ist reserviert für den Fall, dass sie den Text als objektiv einstufen.
Seit sieben Jahren gebe ich solche Medien-Workshops, meistens für das Archiv der Jugendkulturen. Seit sieben Jahren wissen die Menschen anfangs, beim Hundebordell, nicht genau, was sie empfinden. Erst im Laufe der Übung entwickeln sie ein Gefühl dafür, wie manche (Fake-)Medien, insbesondere solche, die auf Lügen und Populismus setzen, mit Emotionen arbeiten.
„Hättet ihr da jetzt geklickt?“ Die Antwort ist fast immer ja. Egal, ob ich mit Jugendlichen arbeite oder mit Erwachsenen. In einer Schule oder in einer Kirche. Ob in Bayern, Hessen oder Sachsen. Ob mit Menschen ohne Schulabschluss oder solchen mit Diplomen.
Ein emotionales Problem
Niemand von ihnen ist dumm, sie alle wissen, wie sie Fake News und Verschwörungserzählungen erkennen können. Was erfahrungsgemäß vielen von uns fehlt, ist vielmehr das Wann, der Startschuss für die Überprüfung, die Erkenntnis: Irgendwas stimmt hier nicht. Und die ist fest damit verknüpft, ob wir merken, dass wir heftige Gefühle haben. Das Problem ist also ein emotionales. Und es schadet den Individuen wie der gesamten Gesellschaft.
Am Wochenende teilten Zehntausende Accounts eine Storyvorlage auf Instagram. Inhalt war ein Artikel, der Fake News verbreitet und auf der Seite „anonymousnews“ online gegangen ist. Wichtig: Dieses Portal hat nichts zu tun mit dem Hacker*innen-Kollektiv Anonymous. „anonymousnews“ tarnt sich als Nachrichtenmedium und verbreitet Lügen und – bleiben wir bei den Emotionen – Angst und nochmal Hass. Aktuell ist die Storyvorlage nicht mit auffindbar.
Der Titel des Textes unterstellt, dass das Gleichstellungsgesetz sexualisierte Gewalt an Kindern straffrei machen würde. Das ist eine Lüge. Wahr ist: Das Gleichstellungsgesetz hat absolut nichts mit sexualisierter Gewalt an Kindern zu tun. Beim Verein Mimikama, der gegen Verschwörungserzählungen und Fake News arbeitet, können Sie sich einen Faktencheck dazu durchlesen.
Veröffentlichungen dieser angstschürenden Art „passieren“ nicht einfach, sondern sind Teil eines Systems, das mit Angst und Wut arbeitet, zwei besonders starken Treibern für uns alle. Warum sonst erledigen wir die Steuererklärung erst, wenn uns Strafen angedroht werden?
Radikalisierung Richtung rechts
Angst kann uns helfen. Sie ist der Grund, warum sich unsere Vorfahren vor dem Bären gerettet haben. Aber sie ist schnell aktivierbar und leicht auszunutzen. Haben Sie Angst um das Wohlergehen von Kindern? Klicken Sie auf den Text! So gelangen Sie auf Seiten wie anonymousnews, und dort werden Sie gefüttert mit „Nachrichten“, die es für eine ordentliche Radikalisierung Richtung rechts noch braucht.
Unter anderem wird „berichtet“, dass ein (Nationalität einsetzen) ein Pony vergewaltigt hätte. Dass ein (Nationalität einsetzen) eine Rentnerin ins Koma geprügelt hätte. Dass ein Geheimdienstchef eine verbotene „Pädo-Flagge“ tragen würde (gemeint und gezeigt ist allerdings die queere Progress-Flag, die nichts mit Pädophilie zu tun hat).
Eine andere Fake-News-Plattform, die den Text ebenfalls geteilt hat, wird noch expliziter und holt in einem Beitrag sogar das antisemitische Feindbild „Rothschild“ raus, das leider nie eingemottet war. Das passt ins Bild. Seit Jahrhunderten lautet die Strategie Emotionalisierung. Und seit Jahrhunderten sind die Ziele die gleichen. Das hat so viel Erfolg, dass auf den Seiten sogar Werbung gemacht wird. Bei anonymousnews etwa vom Kopp Verlag für einen Ratgeber zum Auswandern, der damit wirbt, dass man sich so die Kontrolle wieder zurückholen könne. Wieder ist der Treiber Angst.
Wie gesagt: Die Teilnehmenden meiner Workshops sind alles andere als dumm! Sie kennen die Fragen, um Fake News zu erkennen: Wer hat den Text veröffentlicht? Ist der Text überhaupt aktuell? Kommen hier alle Seiten zu Wort? Kommt mir etwas unlogisch vor? Sie wissen auch, wie Google funktioniert. Aber: Sie müssen als allererstes merken, dass sie eine heftige Reaktion auf eine Nachricht haben. Erst dann können sie dazu übergehen zu überprüfen, ob diese Nachricht wirklich stimmt.
Und dafür braucht es Medienbildung, die nicht nur über vermeintliche Filterblasen und Fact-Checking-Tools spricht. Erst wenn wir verstehen, dass wir Angst oder Wut haben, können wir verstehen, warum es uns so geht und wer davon profitiert. Und letztendlich auch, ob unsere Angst in einigen Fällen wirklich angebracht ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel