Elfriede Jelineks Ibiza-Stück in Wien: Eine Art Katharsis-Verstopfung
In „Schwarzwasser“ thematisiert Elfriede Jelinek die Ibiza-Affäre. Es geht auch um den Heiligen Sebastian, den neuen Gott der gegenwärtigen Erregung.
In ihrem neuen Theatertext „Schwarzwasser“, am Donnerstag uraufgeführt in Wien, entwirft Elfriede Jelinek eine Art von politischer Ökologie der österreichischen Verhältnisse, die sich von den übrigen durch besonders schillernde Oberflächenphänomene unterscheiden.
Die Farben, die man braucht, um die wahlwerbenden Leerformeln sprechende Politiker:innen zu unterscheiden, sind auch anders: schwarz, blau, türkis, grün, pink und immer weniger rot, hinzu kommt gelb für die Aufputschbrause und braun für das latente Kellernazitum.
Ibiza! – richtig. Das waren sechs Minuten auf Video, die das politische Österreich mit einem Schlag veränderten. Sechs Minuten, die den noch vorhandenen Resten eines traditionellen Politikbegriffs den Garaus machten. Das, was man einmal „Integrität“ nannte, ist Flöten gegangen.
Von da an ging es „zack zack“, wie es dem angetrunkenen FPÖ-Vizekanzler H. C. Strache im Video entfuhr. Aber auf den Wodka-Rausch, in dem der Rechtspopulist so ziemlich alles, was ihm und seiner Partei nicht gehört, mehr oder minder das halbe Land an eine vermeintliche russische Oligarchentochter zu verkaufen suchte, folgte keineswegs die klärende Ernüchterung.
Wenn man sich wundert, „was alles geht“
Dem allgemeinen Kater entstieg mit Alt- und Neukanzler Sebastian Kurz abermals die Lichtgestalt eines Politikers, dessen staatstragendes Sprechen sich noch immer regelmäßig ins jugendliche Falsett überschlägt und dessen Rhetoriktrainer ihn in seinen Gesten älter ausschauen lässt als der eigene Vater.
Alle Einwände prallen an ihm ab. Protestantische Fundamentalisten segnen ihn, den Erzkatholiken, der Heilige Geist regnet auf seinen Wahlveranstaltungen in Laserstrahlen auf ihn herab. Devotion aller Orten.
Während sich das politische Wien wundert, „was alles geht“, unternimmt Elfriede Jelinek einen Fischzug im Strom jenes kollektiven Unbewussten, der die illustren Phänomene an seiner Oberfläche gleichermaßen trägt wie unterspült. Mehr als von „Ibiza“ handelt „Schwarzwasser“ von der Apotheose des Heiligen Sebastian, der ihr zum falschen „neuen Gott“ der gegenwärtigen Erregung wird.
Wie in den „Bacchen“ des Euripides lässt Robert Borgmann gleich zu Beginn seiner Uraufführung von „Schwarzwasser“ im Akademietheater erst einmal den Palast einstürzen, bis Ruinen im gleißenden roten Licht glühen und Filmbilder unterschiedlichster Hetzmeuten darüber projiziert werden. Keine Angst, es sind nur Rigipswände.
Die Chormitglieder brechen durch und hauen die Pappe kurz und klein. Im zottigen rosa Gorillakostüm berichtet Caroline Peters von den verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Tier in der dionysischen Erregung, die Vermischung dessen, was Männer und Frauen jeweils zugeschrieben wird: hier Gewalt, dort Extase.
Zwischendurch tänzelt Martin Wuttke im Frack mit Chaplin-Schritten zwischen den Gipsbrocken umher im Vorgriff auf das, was der Abend aus der Spannung zwischen Komik und analytischer Klarheit über dreieinhalb Stunden entfalten wird. Der erste murmelnde Satz macht ihn zum nahen Verwandten von Groucho Marx, ohne das dazu je Bart oder Brille nötig wäre. Später gibt er auch noch den „Joker“, aber das ist eine andere Geschichte.
Mit Pferdemedizin gestrecktes Marschierpulver
Was im Himmels Willen haben ein paar Runden Wodka-Red Bull und mit Pferdemedizin gestrecktes Marschierpulver zu tun mit der dionysischen Erregung? Elfriede Jelinek berichtet von der Verkürzung, der Karikatur einer rauschhaften Befreiung im gegenwärtigen Populismus, von einer Art Katharsis-Verstopfung, die den Erregten die Bande nicht löst, sondern erstickend um den Hals schlingt.
Was könnte Linderung verschaffen? Da bleibt eigentlich nur die psychoanalytische Kur: Wiederholen, Durcharbeiten. Elfriede Jelinek vollzieht sie nicht am Subjekt, sondern an dem, was sich in der Sprache selbst ereignet. In ihrem kompositorischen Methodenapparat aus Wortfeld-Assoziationen, semantischen Doppelböden, Gleich- und Ähnlichklängen verfangen sich die Sprechakte einer schlechten Wirklichkeit, rekombinieren neue oder verborgene Bedeutungen.
Ideologische Setzungen verlieren ihren Spin, in dem sie mit dem noch intakten Regelsystem Sprache kollidieren. Sprachkritik bleibt die letzte Bastion einer Betrachtung dessen, was man einmal die Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse nannte. Was dem rationalen Diskurs zunehmend durch die Finger rinnt, verfängt sich in Jelineks „Schwarzwasser“ im Netz des poetischen Verfahrens.
Barocke Beate Zschäpe
Es ist eine Wohltat, dass Elfriede Jelinek mit Robert Borgmann an einem Stadt- und Staatstheater wieder auf einen Regisseur trifft, der mit ihren „Textflächen“ mehr zu tun weiß, als sie wie Küchenrolle ungeformt über die Rampe zu ziehen. Borgmann, der ebenso oder vielleicht sogar mehr bildender Künstler ist als Regisseur, modelliert ihre Textreliefs zu feingliedrigen Sprechskulpturen, nicht nur für Caroline Peters und Martin Wuttke, auch in den präzisen Chorstücken.
Auf die Theatralisierung der realen Politik reagiert Borgmann mit einem Parforceritt durch die Kunstgeschichte, einer Implosion der Bilder, die nicht mehr „eine Geschichte erzählen“, sondern die Betrachtenden zur selbsttätigen Auseinandersetzung mit den eigenen Assoziationen zwingen.
Zum Schluss bleibt doch eine Bildtafel als Resumee der gesamten Aufführung. Sie zeigt eine lächelnde Beate Zschäpe im Stile der Barockmalerei gekrönter Häupter mit einer Pistole auf dem Schoß. Die obszöne Rückseite der populistischen Erregung ist bei aller Lächerlichkeit die latente Gewalt.
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