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Elf Jahre nach Gaddafis SturzKeine Macht für niemand

Libyen hat wieder einmal zwei rivalisierende Regierungen. Statt des erhofften Wahlkampfs droht nun ein neuer bewaffneter Konflikt.

Libyen feiert den Jahrestag seines „Frühlings“ bei ungewisser Zukunft Foto: Nada Harib/reuters

Tunis taz | Schon die Miene des libyschen Regierungssprechers Mohamed Hamouda sprach Bände. „Das Parlament hat nicht das Recht, einen neuen Premierminister zu bestimmen“, sagte er am Vorabend der Feierlichkeiten zum 11. Jahrestag des Volksaufstands gegen Muammar al-Gaddafi am vergangenen Freitag in die Mikrofone der Journalisten. Nach der Verfassungsdeklaration von 2014 habe nur der Präsident dazu das Recht, also der Präsidialrat in Libyens Hauptstadt Tripolis.

Der obskur anmutende Hinweis war einer Entwicklung geschuldet, die droht, Libyen in einen neuen Bürgerkrieg zu stürzen. Stunden zuvor war auf dem Flughafen von Tripolis ein Politiker gelandet, der sich neuerdings für den Premierminister Libyens hält: der 63-jährige Fathi Bashaga, den das in Ostlibyen tagende Parlament am 10. Februar in dieses Amt gewählt hatte. Doch der seit Februar 2021 in Tripolis amtierende Premierminister Abdul Hamid Dbaiba macht keine Anstalten zu gehen.

Die dunklen Regenwolken über den Revolutionsfeierlichkeiten am 18. Februar wirkten wie eine Warnung. Der Zweimillionenmetropole droht ein bewaffneter Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Regierungen. Es wirkte wie eine Protestveranstaltung, dass wie jedes Jahr zu dem Feiertag Familien mit Fähnchen und guter Laune auf den Märtyrerplatz in Tripolis und in viele andere Städte strömten. In keinem anderen Land des Arabischen Frühlings wird der Aufstand noch so ausgelassen gefeiert wie in Libyen.

Der letzte libysche Bürgerkrieg, der 2020 mit einem Waffenstillstand vorläufig beendet wurde, hatte den Osten gegen den Westen des Landes gestellt. Diesmal ist die Lage komplizierter.

Kein neuer Wahltermin nach Absage, aber neuer Premier

Die Rivalen Fathi Bashaga und Abdul Hamid Dbaiba stammen beide aus der Hafenstadt und Revolutionshochburg Misrata im Westen Libyens, 200 Kilometer von Tripolis entfernt. Ihre Milizen hatten Tripolis bis zum Sommer 2020 gegen den Ansturm der ostlibyschen Armee von General Chalifa Haftar erfolgreich verteidigt. Dass Bashaga, damals Innenminister in Tripolis, nun mit dem in Bengasi lebenden Feldmarschall einen politischen Pakt eingegangen ist, sehen sie als Verrat.

Ein Konvoi von 500 Pick-ups der kampferprobten Brigaden „Halbous“ und „166“ rollte in der vergangenen Woche aus Misrata nach Tripolis, um Dbaiba den Rücken zu stärken. Milizen aus Misrata und anderen westlibyschen Städten hatten bereits die ursprünglich für den 24. Dezember 2021 geplanten allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen verhindert – wegen der Kandidaturen von General Haftar und des Gaddafi-Sohnes Saif al-Islam, die den sicher geglaubten Sieg Dbaibas gefährdeten.

Die Wahlen wurden wenige Tage vor dem Termin abgesagt. Einen neuen Termin gibt es nicht. Das war der Grund, warum das Parlament in Ostlibyen es für geboten hielt, einen neuen Premier anstelle von Dbaiba zu bestimmen.

Mit Geldgeschenken für junge Ehepaare, üppigen Geldzahlungen an regierungskritische Gemeinden und Reisen quer durchs Land hatte der umtriebige Dbaiba im vergangenen Jahr für die wohl ruhigste Phase seit Jahren in dem Bürgerkriegsland gesorgt. Allerdings auch für nie gesehene Korruption, beklagen seine Kritiker.

Abgeordnete haben seit 2016 kein Mandat mehr

In Ostlibyen fühlte man sich von dem geschmeidigen Geschäftsmann vergessen und setzte auf Bashaga, der als ehemaliger Innenminister noch eine Rechnung mit den Milizen in Tripolis offen hat: Er scheiterte mit dem Versuch, deren Macht in der Hauptstadt zu brechen, musste Tripolis verlassen – und diente sich dem bisherigen Feind im Osten Libyens an.

Parlamentschef Aguila Saleh reichte am 10. Februar ein Blick von wenigen Sekunden über die nach oben gereckten Arme der Abgeordneten des Übergangsparlamentes in Ostlibyen, um ­Ba­shagas Wahl für einstimmig zu erklären.

Wie in Gaddafis Zeiten sei das gewesen, kommentierten Vertreter der Zivilgesellschaft auf sozialen Medien. Das Spektakel wird überall im Land mit einer Mischung aus Heiterkeit und Verzweiflung kommentiert. Der Glaube an Demokratie und Wahlen ist den zivilgesellschaftlichen Aktivisten dennoch nicht verlorengegangen.

Über 5.000 Kandidaten haben sich bei der Wahlbehörde HNEC für die Parlamentswahlen beworben, die Dbaiba am Freitag nun für Juni angesetzt hat. 2,8 Millionen Wähler sind registriert. „Doch wir benötigen die Hilfe von EU und UNO, damit die Wahlverlierer ihre Niederlage auch anerkennen“, sagt Kandidat Hamza al-Najah aus Gharyan. 50 Freiwillige haben sich seinem Wahlkampfteam angeschlossen – „Obwohl niemand von uns weiß, ob die Wahlen in absehbarer Zukunft tatsächlich stattfinden.“

Ankara und Moskau mischen mit

Denn seit dem Coup des Parlaments am 10. Februar hat Libyen zwei Regierungschefs – oder, je nach Ansicht, gar keinen. Dbaibas Mandat ist am 24. Dezember abgelaufen. Das Mandat der Parlamentsabgeordneten lief bereits 2016 ab – ihre Wahl Bashagas ist rechtlich gesehen also ungültig. Zur Sicherheit haben sie sich im Januar eigenmächtig und einstimmig mit einem lebenslangen Diplomatenstatus versorgt. Europäische Diplomaten halten sich aus dem Machtkampf der Premiers heraus. „In Libyen haben nun die Russen und Türken das Sagen,“ glaubt Hamza al-Najah, „denn sie haben Militärberater bei ihren libyschen Verbündeten stationiert.“

Türkische Militärexperten unterstützen mit über 2.000 Söldnern aus Syrien die Dbaiba-treuen Milizen in Westlibyen. Mit der Vergabe von Bauaufträgen an Firmen aus der Türkei und deutlich gestiegener Warenimporte ist Libyen zu einem wichtigen Partner der strauchelnden türkischen Wirtschaft geworden. Präsident Erdoğan dankte es Dbaiba in der letzten Woche mit einer öffentlichen Solidaritätserklärung. Er unterstützt nun den Premier so wie bis 2020 den vorherigen Machthaber in Tripolis, den einstigen Übergangspräsidenten Fajis Sarradsch.

Spezialisten der russischen Sicherheitsfirma Wagner und moderne russische Mig-29-Kampfjets unterstützen derweil weiterhin die Armee von Chalifa Haftar, Bashagas Verbündetem. Sie kontrollieren Libyens Ölfelder im Osten des Landes. Die in Jufra stationierten Kampfjets werden von russischen Militärpiloten geflogen, sagen Militärexperten.

Ebenso wenig wie Haftar im Krieg von 2019 bis 2020 könne Bashaga heute Tripolis erobern, glaubt Illiasse Sdiqui, ein in Tripolis stationierter Sicherheitsexperte. „Bashaga setzt auf die Spaltung der Milizen in Tripolis. Dbaiba kann dank seiner guten Beziehungen zur Zentralbank aber die Milizen bei der Stange halten. Daher müssen wir mit einer langen Phase von bewaffneten Zwischenfällen und Provokationen in Tripolis rechnen.“

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2 Kommentare

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  • Man wagt es kaum auszusprechen, aber Libyen ging es unter Gaddafi in Summe besser als nach Gaddafi - bei allem Respekt vor den Opfern der damaligen Diktatur.

    Was einmal mehr beweist, dass eine schlechte staatliche Ordnung besser ist als gar keine staatliche Ordnung. Mit den ethischen Problemen, die aus dieser Erkenntnis folgen, hat sich ja schon Martin Luther auseinander gesetzt, als er zu den Bauernkriegen Stellung nehmen sollte. So mischt sich leider allzu oft die Freude über das Aufbegehren der Menschen gegen ungerechte Herrscher mit der Befürchtung, dass danach alles noch schlimmer kommt.

  • Wer hat erst Libyen bombardiert?



    Und die Demokratie ins Land gebracht...

    Nicolas Sarkozy oder Barack Obama?



    Oder Zusammen.

    Der Zweite ist apropo ein Friedensnobelpreisträger....