Elektromobilität im Nahverkehr: Polen und Niederländer rollen voran
Bei Elektrobussen wird ein Boom erwartet. Deutsche Hersteller haben bisher keine Modelle im Angebot. Auch die Politik hinkt hinterher.
Berlin taz | Es war eine erstaunliche Aussage, mit der sich der Stuttgarter Bürgermeister Fritz Kuhn nach dem zweiten Dieselgipfel Ende November im Kanzleramt zu Wort meldete. „Sie kriegen derzeit keinen voll elektrischen Bus, der im Linienverkehr einsetzbar ist“, behauptete der Grünen-Politiker. „Die Fahrzeuge, von denen wir alle reden, gibt es nicht auf dem deutschen Markt.“
Hätte Kuhn recht, wäre ein zentrales Ergebnis des Gipfels Makulatur – ein 350-Millionen-Euro-Paket zur Finanzierung kommunaler Elektrobusse und -transporter. Glücklicherweise irrt er sich – vermutlich, weil in Stuttgart der Daimler-Konzern das Maß aller Dinge ist. Und der wird erst Ende 2018 einen Elektrobus auf den Markt bringen. „Elektrobusse von heute genügen weder den Ansprüchen der Verkehrsbetriebe noch denen von Mercedes-Benz“, lästert der Konzern auf seiner Webseite.
Auch die VW-Tochter MAN, der zweite deutsche Bus-Produzent, bietet noch keinen Elektrobus. Doch es gibt Busse von zahlreichen anderen Herstellern – und die fahren in mehreren deutschen Städten bereits zur großen Zufriedenheit von Betreibern und Kunden im Linienbetrieb.
Die Kölner Verkehrsbetriebe etwa haben seit über einem Jahr acht rein elektrische Busse des niederländischen Herstellers VDL im Einsatz. „Die fahren wunderbar“, sagte Sprecher Stephan Anemüller kürzlich im Deutschlandfunk. „Wir sind sehr, sehr zufrieden.“ Auch in Berlin und Braunschweig ist mit dem Modell Urbino Electric des polnischen Herstellers Solaris ein komplett elektrischer Linienbus unterwegs.
Einen entscheidenden Nachteil haben diese reinen Elektrobusse im Vergleich zur Konkurrenz mit Diesel-Motor jedoch: Weil auch die Heizung mit Strom betrieben wird, sinkt die Reichweite im Winter. Statt 400 Kilometern schafft ein Elektrobus maximal die Hälfte. Manche Hersteller, beispielsweise das deutsch-türkische Unternehmen Sileo oder der niederländische Hersteller Ebusco, betreiben die Heizung im Winter darum weiterhin mit Diesel.
Ladepunkte an Endstationen geplant
Doch wenn die Busse erst einmal im Regelbetrieb eingesetzt werden, dürfte die Reichweite kein Problem mehr sein. Denn in vielen Fällen werden die Busse ohnehin nicht nur nachts im Betriebshof aufgeladen, um dann einen ganzen Tag ohne Zwischenladung zu fahren. Die meisten Kommunen planen Ladepunkte an Endhaltestellen oder wichtigen Zwischenstopps, wo die Busse dann per Induktion aus dem Boden oder über Stromabnehmer im Dach in kurzer Zeit die Energie für die nächste Runde nachladen.
„Die fahren wunderbar“
Damit können Elektrobusse dann zwar nur auf den entsprechend ausgestatteten Strecken eingesetzt werde. und zunächst sind auch größere Investitionen in die Lade-Infrastruktur erforderlich. Dafür kommen sie aber mit sehr viel kleineren Batterien aus – was die Kosten pro Fahrzeug erheblich senkt und den Platz für die Passagiere erhöht.
Bisher sind Elektrobusse mehr als doppelt so teuer wie vergleichbare Modelle mit Diesel-Antrieb. Da jedoch angesichts der Abgas- und Klimaproblematik viele Kommunen ihre Flotten umstellen wollen, wird der Markt in den nächsten Jahren stark wachsen. Sie gehe davon aus, „dass die Preise von Elektrobussen schon bald fallen werden, weil es Skaleneffekte gibt“, sagt SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks.
Zudem kommen neue Akteure auf: Neben den deutschen Herstellern, die 2018 die ersten E-Busse anbieten wollen, drängt der weltgrößte Elektrobus-Bauer auf den europäischen Markt. Die chinesische Firma BYD baut seit 2010 Elektrobusse, die hier bisher jedoch nur zu Testzwecken eingesetzt werden.
Lediglich in London sind gleich 51 Busse mit BYD-Technik unterwegs. Das soll sich ändern: Mit zwei Fabriken in Ungarn und Frankreich soll der Kontinent erschlossen werden, weitaus mehr Fahrzeuge könnte ein geplantes Werk in Marokko liefern.
Bis dahin wird sich vermutlich auch in Stuttgart herumgesprochen haben, dass Elektrobusse längst existieren.
Leser*innenkommentare
4845 (Profil gelöscht)
Gast
Wroclaw experimentiert derzeit mit einigen verschiedenen hybrid Bussen, auch von Solaris.
85198 (Profil gelöscht)
Gast
Das ist weniger ein Politikversagen, das ist einfach Kapitalismus. Es dominieren die taktischen vor den strategischen Zielen und der kurzfristige Gewinn vor dem langfristigen. Aus dem selben Grund hat der Lanswirtschaftsminister erst dem Glyphosat zugestimmt.
Vielen Kapitalanlegern ist es doch herzlich egal, was mit der deutschen Autoindustrie und deren Arbeitsplätzen in der Zukunft passiert. Hauptsache, sie verkaufen ihre Aktien schnell genug und investieren rechtzeitig in einen anderen Automobilkonzern. Das Kapital ist viel diversifizierter aufgestellt in der globalen Wirtschaft, als die deutsche Industrie es ist.
Insofern hat die Politik nicht versagt, sondern war eine erfolgreiche neoliberale Politik. Sie hat denen gedient, denen sie seit mindestens 35 Jahren, seit dem Lambsdorff-Papier der FDP dient - den Kapitalanlegern. Jetzt bekommt die Autoindustrie das x-te Konjunkturprogramm und neue Subventionen. Das ist genau das, was den Kapitalanlegern gut tun und was sie von den Parteien und Politikern erwarten, die sie finanzieren. Also hat die neoliberale Politik Erfolg gehabt und verteilt fleißig Kapital von den Steuerzahlern zu den Kapitalankegern um.
Es definieren doch nicht irgendwelche linken Medien, was Erfolg im Regierungshandeln ausmacht. In einer Demokratie nach Habermas'schen Zuschnitt wird das deliberativ ausgehandelt - und in Aushandlungsprozessen haben die sozial Höhergestellten nunmal immer mehr Einfluss auf das Ergebnis, korrellierend mit ihrem Machtvorteil.
Erfolg besteht dann in diesem neoliberalen Deliberationsprozess im Sinne der Maximierung der Profite, wenn noch soviel wie irgenwie möglich von der Mitwelt kaputt gemacht werden kann, damit lassen sich sich schließlich noch Renditen erzeugen. Mit der Bewältigung der negativen Folgen läßt sich dann auch wieder Profit erzielen.
Ähnlich, als würden Unfallchirurgen einen Schlägertrupp anheuern. Sozial ist, was Arbeit schafft.
Vielleicht wird so zumindest der deutsche Exportüberschuss abgebaut.
85198 (Profil gelöscht)
Gast
Frau/man entschuldige den zynischen Ton.
Es ist nicht meine Absicht, Hoffnungslosigkeit zu predigen. Nur: die Politik hinkt doch ganz aus Absicht hinterher. Der Status Quo drückt den Erfolg der neoliberalen Politik von CDU/CSU, FDP und SPD aus.
Selbst ein "grüner" schwäbischer Ministerpräsident fährt ein dreckiges überdimensioniertes Dienstauto desselben Konzerns, dessen dreckige überdimensionierte Luxuskarossen auch schon seine CDU-Vorgänger gefahren haben.
Rollender Stein
Die E-Busse sind in der Anschaffung so teuer, dass eine wirkliche Energiewende damit im ÖPNV nicht funktionieren wird.
Alternativ gibt es die zuverlässige und saubere CNG-Technik.
Mit CNG aus abfallstämmigem Biomethan, ganz ohne Monokultur und Anbei von Energiepflanzen werden die Städte schnell und günstig sauber und klimaneutral, denn auch Feinstaub und Stickoxide spielen bei CNG kaum eine Rolle.
achterhoeker
Ich empfehle Gregor Tobias einfach etwas Nachhilfeunterricht in Chemie. Dazu wäre ein Seminar im Umgang mit Gefahrstoffen und Industriegasen anzuraten.
Der mystische Wasserstoffantrieb mag vielleicht vegan-chique wirken, jedoch sind allein die Sicherheitsaspekte schon ein wesentlicher Hemmschuh.
Bestimmt hat der Herr Tobias auch bedacht, dass bei der Verbrennung von Wasserstoff in Luft ebenfalls Stickstoffoxide freigesetzt werden. Erst der Betrieb mit Knallgas erzeugt auch keine Stickstoffoxide mehr.
Tja, dumm gelaufen, wenn man den ständigen dumpfen Parolen der Lobbyisten ausgesetzt ist.
Chemie ist nicht umsonst ein Diplom-Studienfach, was manche gern vergessen.
Gregor Tobias
Einen Bus im ÖPNV mit Batteriestrom zu heizen ist ganz sicher keine gute Idee. Aber auch als Stromquelle für den Antrieb ist die Brennstoffzelle weit überlegen. Die hohe Zahl der Ladezyklen geht auf die Lebensdauer des Akkus, und die für die BZ notwendigen Wasserstofftankstellen sind für den kommunale Fuhrpark auch kein Problem, und heizen kann man direkt mit H2.
Rollender Stein
Warum H2, das energieintensiv aus Methan gewonnen wird und nicht gleich das Methan im CNG-Motor verfeuern?
In meiner Stadt fahren die Busse dank 100% abfallstämmigem Biomethan der 2. Generation (also ohne Monokulturen und Energiepflanzen) klimaneutral, feinstaub- und fast stickoxidfrei mit der Technik.
Das funktioniert übrigens auch prima bei PKW -> gibgas.de & cng-club.de ;-)
Gregor Tobias
@Rollender Stein Gemeint war Wasserstoff aus überflüssigem Wind- und Solarstrom. Aber CNG ist als Übergangslösung sicher besser als Li-Akkus.