Eis-Universität in Italien: Dolce Vita an der Uni
Die Carpigiani Gelato University bei Bologna bildet seit 20 Jahren angehende Eismacher:innen aus. Ein Besuch auf dem süßesten Campus Italiens.
Tal Krause kommt aus dem Hörsaal der Carpigiani Gelato University (CGU), die im Industriegebiet von Anzola dell'Emilia liegt, einem Städtchen unweit von Bologna. Auf dem Whiteboard steht noch das Thema der soeben beendeten Stunde: „Hazelnut gelato“. Eine Theoriestunde, darüber, wie die Haselnuss sein muss, damit sie im Eis ihren Geschmack und Geruch am besten entfaltet.
Direkt vor dem Hörsaal liegt die Lehrküche, wo die Umsetzung in die Praxis geprobt wird, in der es gerade nach Mango und Maracuja duftet und noch etwas selbstgemachtes Eis aus der letzten Praxisstunde in der Tiefkühle ist.
Natürlich ist jetzt Zeit für ein Pauseneis – Ehrensache. Krause löffelt ein Mascarponeeis; es ist seine Lieblingssorte. Nach der Ausbildung möchte der gebürtige Heidelberger eine eigene Eisdiele in New York eröffnen, wo er eigentlich als Unternehmensberater arbeitet, und dort neue Sorten mit Gewürzen aus aller Welt kreieren. Aber auch Wassermeloneneis möchte er machen, das so gut schmeckt wie in dieser einen Eisdiele in Rom, an die er immer noch zurückdenkt.
Er und seine Mitschüler:innen aus aller Welt sind nach Anzola dell’Emilia gekommen, um an der privaten Uni das Eismachen zu erlernen. Der Ort liegt in der fruchtbaren Poebene, in der neben Reis, Getreide und Gemüse auch die Vorzeigemarken des „Made in Italy“ heimisch sind: Parmigiano Reggiano, Lamborghini, Ferrari. Aber auch kleinere Nischenunternehmen wie – zukünftige Gelatieri aufgepasst – etwa Carpigiani, das 1946 in Bologna gegründete Unternehmen von Speiseeismaschinen.
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Heute verkauft Carpigiani in 110 Ländern weltweit; die Maschinen stehen in mehr als 200.000 Eisdielen, Bars und Restaurants auf der ganzen Welt.
Eis machen lernen in vier Sprachen
Zwanzig Jahre ist es her, als bei Carpigiani die Idee entstand, hier auch eine Eis-Universität zu eröffnen. „Wir wollten der Wissenschaft des Eismachens eine gewisse Struktur geben“, erklärt Kaori Ito, Direktorin der Carpigiani Gelato University, die argentinisch-japanischer Herkunft ist. „Beim Eismachen handelt es sich um eine handwerkliche Tätigkeit, die in Familien und von Kleinunternehmern ausgeführt wird. Das Wissen wird von Vater zu Sohn, von Generation zu Generation weitergegeben.“
Also versammelte Carpigiani einige der Maestri des Speiseeises in Anzola dell’Emilia und begann, in Kursen die Kunst des Eismachens zu vermitteln. Vor 20 Jahren war dies eine Neuheit, heute bieten verschiedene Strukturen eine Ausbildung zum Gelatiere an. Aber Carpigiani ist eine der wenigen, die nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Englisch, Französisch und Spanisch unterrichten.
Zu den Kursen an der CGU kommen Menschen aus der ganzen Welt. Zu beschreiben, wer sie sind, was sie alle gemeinsam haben, fällt Ito und ihrem Kollegen Edoardo Zucchini deshalb schwer. Sie erklärt: „Manche von ihnen arbeiten bereits in der Gastronomie, haben vielleicht schon ein Familienrestaurant. Andere haben einen komplett anderen beruflichen Hintergrund und möchten ihr Leben verändern. Was sie alle eint, ist die Leidenschaft für gutes Eis.“
Das gilt auch für Krause und seine Mitschüler:innen. Sie sind im Fortgeschrittenenkurs, dem letzten des dreistufigen Modells nach Grund- und Aufbaukurs. Bei der Zutatenkunde fängt alles an, dann geht es über Zubereitungsmethoden und Hygieneregeln weiter zu Eisvarianten wie Sorbet und Frozen Yoghurt bis hin zu laktose- und zuckerfreiem Eis.
Die morgendlichen Theorielektionen werden am Nachmittag in der Lehrküche praktisch umgesetzt. So kann man in nur drei Wochen die Grundlagen der Eismacherzunft lernen. 4.000 Euro kostet es, sich das Handwerk anzueignen. „Der Anfang ist schnell gemacht, und danach vertieft man die Kenntnisse ein Leben lang“, sagt Ito.
Pro Jahr bilden sich hier 6.000 Menschen weiter. Deutschland ist ein wichtiges Land für die Gelato University, denn es ist der zweitgrößte Markt für Eismanufakturen. „Weltweit gibt es etwa 100.000 solcher Eisdielen. Davon sind 30.000 in Italien, etwa 30 Prozent des Weltmarktes! Der zweitgrößte Markt ist Deutschland mit etwa 9.000 Eisdielen“, sagt Kaori Ito, die Direktorin.
Ein Grund dafür ist sicherlich die enge Verbindung zwischen Deutschland und Italien. Mit den Gastarbeiter:innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland kamen, hielt auch die italienische Lebensart hierzulande Einzug. Besonders viele Eismacher:innen kommen aus dem Zoldo-Tal in den Dolomiten, in dem schon im 19. Jahrhundert Speiseeis hergestellt wurde. Mit ihren Eiskarren gingen die gelatieri zoldani auf Wanderschaft, eröffneten auch in Deutschland erste Eiscafés. Viele tragen den klingenden Namen „Eiscafé Venezia“ – eine Hommage nicht etwa an Venedig, sondern an das Veneto, die Heimatregion der Eismacher:innen aus dem Zoldo-Tal.
Der neueste alte Schrei: Softeis
Während manche dieser Eisdielen noch den Charme vergangener Jahrzehnte versprühen, folgen andere stets den aktuellen Ernährungstrends. Ito nennt sie die „ohne“-Trends. Also ohne Kuhmilch, ohne Zuckerzusatz, ohne tierische Produkte. Außerdem entdecken immer mehr Restaurants Speiseeis wieder. Natürlich in einer neuen Form, beispielsweise in elegante Türmchen gespritzt oder in Geschmacksrichtungen, die Süßes, Fruchtiges und Herzhaftes miteinander verbinden.
Ein besonderer Trend, so Ito, ist hochwertiges Softeis – „Premium Soft“ nennt sie es. „Wir assoziieren Softeis oft mit Fast-Food-Ketten, mit Eis für 85 Cent pro Portion. Jetzt erleben wir ein Comeback von Gourmet-Softeis in hoher Qualität und mit sorgfältig kurierter Ästhetik.“ Denn das Besondere an Softeis: Wegen seiner weicheren Konsistenz kann es in viele verschiedene Formen gebracht werden – die unterschiedlichen Ausgabetüllen an der Softeismaschine erlauben künstlerische Dekorationen und hochelegante Eistüten.
Ist dieses Übermaß an Ästhetik, die perfekt gezwirbelte und makellose Creme nicht genau das Problem an Softeis? Und dann noch diese Erinnerung, die jedes Softeis essende Kind machte und nicht vergessen hat, dass es nämlich süß und künstlich schmeckt?
Die elegante, zweifarbige Eistüte, die CGU-Dozent Andrea De Bellis in einer der Lehrküchen der Gelato University reicht, soll vom Gegenteil überzeugen und tut es auch. Auf der schlanken Waffel sitzt eine Rose aus himbeerfarbenem Softeis, gekrönt von einem elegant aufsteigenden cremefarbenen Eiswirbel aus der typisch italienischen Vanillecreme mit Ei und Zitronenschale. Und wirklich, das Crema-Eis schmeckt milchig und zitronig und nicht künstlich, die Himbeere ist leicht säuerlich und frisch.
Beim Öffnen der Softeismaschine, in der die flüssige Himbeermasse verarbeitet wird, steigt der Geruch von Himbeeren auf – echten Himbeeren. Sie sind die Hauptzutat.
Dank der internationalen Studierenden an der CGU fällt der Blick auch auf die Eis-Vorlieben in aller Welt. „In Japan gibt es gerade den Trend, erst mit Freunden etwas trinken zu gehen und zum Abschluss des Abends ein Eis zu essen. Es gibt Eisdielen-Cocktailbars, die sich darauf spezialisiert haben“, sagt Ito. Manchmal erlaube die Zusammensetzung der Gelato-Klassen sogar vorherzusagen, in welchen Ländern Eis als nächstes boomen wird. „Bevor die Märkte in Australien und Polen gewachsen sind, haben wir gemerkt, dass sich besonders viele Personen aus diesen Ländern bei uns eingeschrieben haben“, sagt Ito, „und jetzt gerade kommen immer mehr Schüler aus südostasiatischen Ländern.“
Eigentlich ist Anzola dell'Emilia ein ruhiges Städtchen mit 12.000 Einwohner:innen. Der Bus aus Bologna kommt zwei Mal in der Stunde vorbei. Dank der Studierenden jedoch geht es im beschaulichen Ort international zu. In der Gelato University begegnet man angehenden Eismacher:innen aus Thailand und der Schweiz, einer Schulklasse aus einer belgischen Konditoreischule auf Klassenfahrt, und der Direktorin, die Argentinien und Japan mit Europa verbindet.
Kaori Ito, Leiterin der Carpigiani Gelato University
Sie erzählt von einem neuen Kurs, „Gelato and Tea“, den die CGU gemeinsam mit der UK Tea Academy ins Leben gerufen hat. „Mit Kursen wie diesem versuchen wir, die Branche ein wenig zu inspirieren und über die bekannten Pfade hinauszugehen. Wir möchten Innovation in unserer Branche vorantreiben“, sagt Ito.
Die Studierenden aus dem Fortgeschrittenenkurs, deren Unterrichtspause gleich zu Ende ist, haben jedenfalls schon recht klare Ideen, welche Art Gelato sie in Zukunft herstellen möchten. „Ich möchte Eis mit den besonderen Zutaten aus meiner Region machen“, sagt die Schweizerin Sandra Anliker, die gemeinsam mit ihrem Bekannten Peter Limacher aus Luzern gekommen ist, um die Kunst des Eismachens zu lernen.
Eis im Sommer, Käse im Winter
Er ist eigentlich Käser, sie wiederum stellt handgemachte Seifen her. Aber in der Sommerhitze auf den Märkten läuft der Käse nicht besonders. Deshalb wollen die beiden nun Eis aus der eigenen Milch herstellen, und zwar ganz besondere Sorten. „Rahmtäfeli glacé“ möchte Anliker verkaufen, also Eis mit dem Geschmack von Schweizer Rahmkaramellbonbons. Oder mit Apfelmus, „einer Schweizer Spezialität!“, sagt sie mit Begeisterung.
„Wenn wir Eis essen, suchen wir letztlich eine schöne Erinnerung aus unserer Kindheit“, sagt Ito. Ihre Lieblingssorten sind Grüner Tee und Dulce de Leche – eine Hommage an die beiden Länder, die sie kulturell prägten. Ihr Kollege Zucchini hingegen liebt Zabaione-Eis: „Hier in der Region verwenden wir viel Ei. Deshalb mag ich so gern Zabaione, schon als Kind durfte ich es ab und zu essen, trotz des Alkoholgehalts.“
Was Ito hingegen niemals essen würde? „Ein Eis, das so hoch gestapelt ist“, sagt sie und misst mit den Händen einen imaginären Haufen mit dutzenden Eiskugeln ab. „Bei solchen Eisdielen sieht man schon von weitem, dass es sich nicht um gute Qualität handelt.“ Zucchini fügt hinzu: „Oder auch Eis in zu grellen Farben. Da sind Farb- und Zusatzstoffe drin. Wenn es nicht nach Qualität aussieht, möchte ich es nicht probieren.“
Er empfiehlt, bei der Eisdielenwahl auf saisonal wechselnde Eissorten zu achten. „Wenn eine Gelateria rund ums Jahr Erdbeereis anbietet, weiß man, dass sie nicht immer frische Zutaten benutzen.“ Wenn Eissorten hingegen immer wieder wechseln und auch mal ausgehen, sieht er das als gutes Zeichen. Das bedeutet nämlich, dass das Eis vor Ort in kleinen Mengen von professionellen Eismacher:innen frisch zubereitet wird – vielleicht sogar von Alumni der Gelato University.
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