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Einzug in den Amazon-TowerDie Amazonisierung der Stadt

Der Tech-Konzern ist in das Hochhaus an der Warschauer Straße gezogen. Initiativen konnten das nicht verhindern, setzen ihren Protest jedoch fort.

In Amazon-Outfits verkleidete Ak­ti­ons­künst­le­r*in­nen heißen ihre „neuen Kolleg*innen“ herzlich willkommen Foto: Jeremy Knowles

Berlin taz | Es gab einmal eine Berliner Antifa-Hexe, die ein Ziel hatte: Amazon sollte nie den Edge East Side Tow­er beziehen. Ein Jahr lang zog sie bei jedem Vollmond gegen den Uhrzeigersinn um das Gebäude – die Richtung von Chaos und Zerstörung. Sie sprach Zauber, hinterließ kleine Gaben und träumte vom dramatischen Ende des Kapitalismus.

Es blieb ein Traum. Am Montagmorgen bezogen die rund 3.200 Amazon-Mitarbeiter*innen die „papphässliche Demonstration von Kapitalismus, Geld und Macht“, wie eine Kritikerin den Turm an der Warschauer Straße liebevoll beschrieb. Empfangen wurden sie von rund 50 Demonstrant*innen, die zum Soundtrack von „Der Turm stürzt ein“ auf dem Vorplatz tanzten. Brot und Salz gab es nicht – dafür reichlich „Fuck Amazon“-Flaggen. Zur Kundgebung aufgerufen hatte das Bündnis „Berlin vs Amazon“.

„Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und eine lebenswerte Nachbarschaft“, so das Bündnis. „Ein Konzern hingegen, der seine Ar­bei­te­r*in­nen systematisch an ihre Grenzen treibt, unseren Planeten zumüllt und der so gut wie keine Steuern zahlt, hat hier nichts zu suchen.“

In Redebeiträgen von Verdi und Lobbycontrol wird auf die prekären Arbeitsbedingungen bei dem Tech-Konzern hingewiesen: Befristete Verträge über Subunternehmen, systematisches Union Busting, streng überwachte Pausenzeiten und Kameraüberwachung am Arbeitsplatz. „Es herrscht ein Klima der Angst“, sagt die zuständige Verdi-Gewerkschaftssekretärin.

Aus „Warschauer Straße“ wird „Amazon Straße“

Einige Amazon-Mit­ar­bei­te­r*in­nen erhielten am frühen Morgen ein ganz besonderes Willkommen. Am Bahnsteig erwarteten sie die Ak­ti­ons­künst­le­r*in­nen Jakob Wirth und Marina Resende Santos – verkleidet in orangen Amazon-Hemden und Namensschildern mit Amazon-Logo und der Aufschrift „Public Relations and Community“. Per Leiter verwandelten die Ak­ti­vis­t*in­nen das S-Bahnhofschild „Warschauer Straße“ kurzerhand in die „Amazon Straße“.

„Wir haben heute Morgen symbolisch die Amazon Straße eingeweiht – nicht um zu feiern, sondern als subversiver Kommentar“, erklärt Wirth. Die künstlerische Intervention soll sichtbar machen, wie Konzerne Stadtbilder, Sprache und Identität vereinnahmen. Besonders kritisieren die Ak­ti­vis­t*in­nen das Social Washing des Konzerns. Amazon vermarktet etwa den „Kiezsockel“, eine öffentlich zugängliche Etage und ein exklusives Dachrestaurant, als Geschenk an das Viertel. Tatsächlich waren zwei öffentliche Etagen ursprünglich eine Auflage des Bezirks, um das Projekt überhaupt zu genehmigen. Den Künst­le­r*in­nen war der Eintritt zum „öffentlichen“ Nachbarschafts­treffpunkt wiederholt verwehrt worden. Der taz am Montag auch.

Die Künst­le­r*in­nen kritisieren: „Der Konzern setzt damit fort, was am Spreeufer und Mercedes/Uber-Platz begann: schleichende Privatisierung städtischer Räume und Umnutzung symbolträchtiger Orte – ohne Debatte über langfristige Auswirkungen auf Mieten, soziale Infrastruktur und das kulturelle Gefüge.“ Sie fordern: „Nein zur Amazonisierung der Stadt!“

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1 Kommentar

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  • "schleichende Privatisierung städtischer Räume"? In Berlin gibt's jede Menge Gebäude in Privatbesitz.