Einweihung von Turkish Stream: Pipeline als geopolitisches Mittel
Putin und Erdoğan nehmen eine neue russisch-türkische Gasleitung durchs Schwarze Meer in Betrieb. Nicht nur ein ökonomisches Projekt.
Die Pipeline soll insgesamt 31,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren. Zum Vergleich: die umstrittene Nordstream-2-Pipeline durch die Ostsee soll einmal 55 Milliarden Kubikmeter schaffen. Auch Turkish Stream ist für Putin sowohl ein ökonomisches als auch geopolitisches Projekt. Aus wirtschaftlicher Sicht wird sich der Verkauf von russischem Gas an die Türkei und darüber hinaus an Südosteuropa dadurch beträchtlich steigern – und viel Geld in die Kassen von Gazprom spülen. Wichtiger aber noch ist der geopolitische Aspekt. Turkish Stream wird wie auch Nord Stream 2 die Ukraine als Transitland umgehen und längerfristig überflüssig machen.
Es gibt bereits eine Gaspipeline durchs Schwarze Meer – Blue Stream –, die im Osten der türkischen Schwarzmeerküste ankommt und Ankara sowie die Osttürkei versorgt. Die neue Pipeline, die etwas westlich von Istanbul auf das türkische Festland trifft, wird die türkische Hauptstadt und den Westen des Landes versorgen. Dieses Gas kam bislang über die Ukraine, Moldau, Rumänien und Bulgarien. Die Lieferungen über die Ukraine sind damit überflüssig.
Auch für Erdoğan ist die Pipeline sowohl ökonomisch als auch politisch wichtig. Sie stellt die Energieversorgung der wichtigsten türkischen Industriezentren sicher, verringert den Preis für Gas und sichert der Türkei darüber hinaus noch Transitgebühren für die Weiterleitung nach Bulgarien und Serbien.
Türkei als Transitland
Da die Türkei außerdem noch als Transitland für Gaspipelines aus Aserbaidschan Richtung Europa dient, steigt ihre strategische Bedeutung. „Wir werden auf den internationalen Märkten unverzichtbar sein“, sagte Energieminister Fatih Dönmez stolz.
Es kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Bei der Ausbeutung von Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer liegt die Türkei im erbitterten Streit mit Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten. Diese Länder wollen die beträchtlichen Vorkommen unter dem Meer unter Ausschluss der Türkei ausbeuten und haben sich dafür zu einer Gasförderallianz zusammengeschlossen.
Erst vor wenigen Tagen haben der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sein griechischer Kollege Kyriakos Mitsotakis in Athen einen Vertrag unterzeichnet, mit dem der Bau einer Pipeline von den israelischen Gasfeldern nach Zypern und von dort weiter über Kreta bis zum griechischen Festland besiegelt werden sollte.
Gas preiswert nach Südosteuropa
Erdoğan versucht dieses Vorhaben zu verhindern, so lange wie die Türkei und die türkischen Zyprioten nicht „angemessen beteiligt“ werden, wie er mehrfach sagte. Die neue, auch Turk Stream genannte Leitung ist ein Mittel dazu, weil sie Gas wesentlich preiswerter nach Südeuropa bringt, als das durch die projektierte israelisch-griechische Pipeline möglich sein wird.
Außerdem hat Erdoğan Ende November letzten Jahres mit der libyschen Regierung einen Seegrenzen-Vertrag über eine gemeinsame libysch-türkische „Exklusive Wirtschaftszone“ quer durch das östliche Mittelmeer abgeschlossen. Diese würde, wenn sie Bestand hat, den Bau der israelisch-griechischen Pipeline nahezu unmöglich machen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen unterstützt Erdoğan die derzeitige schwache Regierung in Libyen und hat damit begonnen, Soldaten nach Tripolis zu schicken.
Außerdem hat der türkische Präsident den Israelis noch angeboten, ihr Gas von Zypern aus mit einer relativ kurzen und preiswerten Leitung zur Türkei an das vorhandene Gasnetz anzuschließen und so das israelische Gas schnell und billig nach Europa zu transportieren. Angesichts dieser Vorteile von Turkish Stream sind die angekündigten US-Sanktionen gegen die Pipeline für Erdoğan zweitrangig.
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