Einsamkeit ist nicht nur schlecht: Bisschen übertrieben, bisschen wahr – welcome to 2025!
So viel Wut, so wenig Interaktion: Unser Autor sieht in dieser Melange nicht nur Berlintypisches. Die Neujahrszeit stellt überall schwierige Fragen.
K ottbusser Tor, 2.13 Uhr. Eine Zigarette fällt aus dem Mundwinkel eines Mannes. Der Mann brüllt. Salven aus Schimpfwörter, wild aneinandergereiht, hallen durch die U-Bahn-Station. Niemand ist alarmiert. Typisch Berlin. Wo unfreiwillig Verrückte den öffentlichen Raum bespielen und jene, die nur so tun, als seien sie verrückt, ihnen mit verklemmter Coolness begegnen.
Doch die Stille zwischen den Schreien wirkt im jungen 2025 irgendwie besonders laut. Der Raum zwischen dem Mann und den anderen ist durchzogen von unsichtbaren Spinnweben. Niemand möchte sie berühren. So viel unterdrückte Wut, so viel Sehnsucht nach Harmonie, so viel Lust an Eskalation, so wenig Lust an Interaktion.
Die Zeit zwischen den Jahren ist die Primetime der Einzelgänger*innen. Familiäre Nähe wird als Nonplusultra inszeniert – das macht das Alleinsein intensiver, im Guten wie im Schlechten. Manchmal mag ich es, alleine unterwegs zu sein – wie da in der U-Bahn.
Das ist eine Seite des Alleinseins: ungestört krude Mustererkennung betreiben. Die andere Seite ist darker. Ich betrete sie immer, wenn ich zu viel Zeit mit mir selbst verbracht habe und irgendwann nur noch mit mir selbst spreche.
Alle nur NPCs?
Als sei ich Main Character im eigenen Leben. Der sich die Umwelt zum Melodrama zurechtdenkt und zurückschreckt, wenn die eigene Stimme beim Dankesagen im Supermarkt nach Tagen des Schweigens so komisch krächzt. Oder beschämt wegschaut, wenn jemand die gleichen Sneaker trägt und ich ertappt bin in meiner Durchschnittlichkeit. Wie heißt das nochmal, wenn der eigene Blick auf die Wirklichkeit nicht mit dem der anderen übereinstimmt und alles wirkt, als sei ich stets selbst gemeint?
Einsamkeit ist vielleicht auch die Angst, eine Idiotin unter vielen zu sein. Diese Angst steht in direkter Verbindung zu der Art, wie Menschen sich durch das unsichtbare Netz quetschen. Ultra bemüht, es nicht zu berühren.
Die Philosophin Hannah Arendt sagte mal, Einsamkeit zerstöre die Fähigkeit zu Beziehungen. Für den Psychoanalytiker Félix Guattari war schon der Wunsch nach Zugehörigkeit faschistisch. Bisschen übertrieben, bisschen wahr. Der Wille, irgendwo dazuzugehören, ist oft größer, als die Kraft aufzubringen, die Ursachen für Isolation zu beheben, oder?
Lustige Reels zum Beispiel, die kurze Flashs von Verbundenheit erzeugen. Millionen andere sehen dasselbe, doch die Brücke stürzt nach 1 Minute wieder ein – und es wird weiter herumgescrollt. Die Sneaker funktionieren vielleicht ähnlich.
Im U-Bahn Netz gefangen
Auch sie sind doch Resultat sozialer Zusammenhänge. An meinen Füßen wirken sie individuell, dann sehe ich sie an jemand anderem. Vielleicht ist es ein unbewusster Ruf im Wald der hyperindividualisierten Einzelwesen. Sie zeigen, dass alle NPCs sind – keine Hauptfiguren, sondern verpixelte Wesen, die wie in der U-Bahn im Netz gefangen sind und trotzdem so tun, als wären sie allein – na ja.
Andy Warhol, ein berühmter Einsamer, sagte mal: Jede Cola ist gleich und alle schmecken gleich.
Der gleiche Sneaker, der trennt, verbindet. Das unsichtbare Netz, dem alle ausweichen, trägt – auch den Spinner von letzter Woche, mit dem niemand was zu tun haben wollte.
Irgendwie tröstlich, irgendwie cheesy.
Aber hey, ein neues Jahr beginnt.
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