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Einsamkeit als Gefahr für die DemokratieEmpathie statt Appelle

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Gegen Einsamkeit von jungen Menschen kann Politik etwas tun: sich kümmern. Tut sie aber das Gegenteil, wird es für die Gesellschaft gefährlich.

Mehr als die Hälfte der 18- bis 35-Jährigen fühlt sich einsam Foto: Paul Zinken/dpa

M anchmal fragt man sich, ob Studien, die Politik, Wissenschaft und Gesellschaft als relevant einstufen, von jenen wahrgenommen werden, für die diese Studien besonders wichtig sind. Zum Beispiel die sogenannte Einsamkeitsstudie, mit der die Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Dezember auf die seelische Verfasstheit junger Menschen aufmerksam machte. Danach fühlt sich mehr als die Hälfte der 18- bis 35-Jährigen einsam.

Das ist alarmierend, denn gemeinhin gilt „die Jugend“ als „unsere Zukunft“, von der unter anderem unsere Industrieproduktion, unsere Sozialsysteme, unsere Renten, kurz unser Wohlstand abhängen. Mehr als wohlfeile Worte, sich der jungen Menschen mehr anzunehmen, gab es Ende des vergangenen Jahres allerdings nicht. Einsamkeit ist sogar gefährlich für die Demokratie, wie die Stiftung jetzt nachträglich zu bedenken gibt. Die jungen Menschen fühlen sich unbeachtet von der Politik und glauben, selbst nicht viel bis gar nichts bewirken zu können.

Dass die Stiftung nun gesondert darauf aufmerksam macht, ist ein weiteres Indiz dafür, dass politischen Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen der Blick dafür weitgehend fehlt. Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, dass Menschen, die sich ungehört, ungesehen, vernachlässigt fühlen, ansprechbarer sind für populistische, rechte, extremistische Positionen.

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Es wäre daher eine Pflicht der Koalition aus Union und SPD gewesen, sich diesem Phänomen besonders zu widmen. Schließlich wird sie nicht müde zu betonen, dass man alles tun müsse, um AfD und Rechtsextremismus runterzudimmen. Doch im Koalitionsvertrag findet sich das Wort „Einsamkeit“ nur in einem minimalen Passus, „Jugend“ wird nur marginal bedacht. Da scheint es folgerichtig, dass Jugendeinrichtungen, Bildungshaushalte, Projekte gegen rechts weniger Geld erhalten und womöglich schließen müssen. Bei so viel Ignoranz der Realität kann sich allein der Kanzler Appelle an die Jugend wie den für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr und eine Kontingentwehrpflicht getrost sparen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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2 Kommentare

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  • Der Blick fehlt, weil man sich vor den unangenehmen Wahrheiten einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft drückt. Ich als Jahrgang 63 kannte in meiner Jugend keine Einsamkeit und hatte keine Ängste davor was die Zukunft bringt. Das ist heute definitiv anders.

  • Danke, dass Sie das hier zur Sprache bringen. Das Thema ist tabuisiert. In dem Alter sind die alten Spielplatz Connections der Eltern nicht mehr vorhanden oder peinlich. Eltern sind in einer schwierigen Situation. Wie kann man unterstützen ohne cringe zu sein? Manchmal wünsche ich mir in Hamburg eine Art Elterngruppe, in der man das Thema besprechen und sich austauschen kann und vielleicht sogar Menschen zusammenbringen kann. Es ist so absurd, dass die betroffenen Töchter und Söhne zu hause sitzen, sozial immer unsicherer werden, ihr Thema in der Öffentlichkeit nicht vorkommt und das Tabu auch noch für zusätzliche Isolation der Personen im Umfeld sorgt.